Fear and Loathing in Roulettenburg

Hoch her geht es in der deutschen Provinz! Ein russischer General ist mit seiner Entourage in dem kleinen Kurort Roulettenburg eingefallen und lebt mit den Seinigen auf großem Fuß. Aber alles ist nicht Gold, was gleißt: Hier, wo sich der paneuropäische Adel und das zu Einfluss gekommene Bürgertum die Klinke in die Hand geben, wo man bei Spaziergängen im Kurpark sieht und gesehen wird und wo gute Manieren die wahren Gefühle ausstechen, dreht sich im Grunde alles um die Jetons, die im örtlichen Kasino ausgegeben werden.

Der General steht in der Kreide bei einem zwielichtigen französischen Marquis, der Roman ist auch die Geschichte seines Niedergangs. Händeringend warten er und seine Familie auf das erlösende Telegramm aus Moskau, das den Tod der steinreichen Erbtante bestätigen soll. Mit einem Schlag könnte so alles Unglück abgewendet werden, denn inzwischen hat der General auch das von ihm verwaltete Vermögen seiner Kinder ebenso wie seiner Stieftochter, Polina, verpfändet. Obendrein hat seine amour fou zu einer Kokotte namens Mademoiselle Blanche nur eine Zukunft, solange der Rubel rollt.

Im Zentrum des Romans allerdings steht ein anderer Schwanengesang, nämlich der des Erzählers, Alexej Ivanovitsch, seines Zeichens Hauslehrer im Tross des Generals und zugleich – ebenso wie der Marquis – hartnäckig bis verzweifelt Werbender um Polinas Gunst. Durch seine Feder erleben wir zunächst das Eintreffen der totgeglaubten Tante, die einem Haifisch im Sardinenbecken gleich auftritt und mit großem Gezeter Kleinholz aus den Hoffnungen ihrer Mimosenverwandschaft macht. In weniger als einem Tag verspielt sie einen Großteil ihres Vermögens, bevor sie einigermaßen kleinlaut wieder in die russische Heimat verschwindet und einen Scherbenhaufen zurücklässt. Sogleich verlässt auch der Marquis Roulettenburg, besteht allerdings weiterhin auf der Einlösung der Schulden der Generalsfamilie, was den General winselnd dem Wahnsinn entgegen taumeln lässt. Polina wiederum, die sich bis dahin im Angesicht von Alexejs Leidenschaft abweisend und verächtlich gegeben hatte, gesteht diesem in ihrer Not nun ihre Liebe und entdeckt ihm auch die bisher nur vermutete eigene schuldenbedingte Abhängigkeit vom Marquis. Mit dem Mute der Verzweiflung stürmt Alexej daraufhin den Spielsaal und gewinnt in wenigen Minuten ein mittleres Vermögen. Auf die ihr sogleich zu Füßen gelegten Geldscheine allerdings reagiert Polina nicht wie erhofft, sondern lehnt das Geld brüsk ab. Sie verfällt in eine Art Trance, bleibt aber über Nacht in Alexejs Hotelzimmer.

Am folgenden Morgen jedoch verlässt sie Alexej und begibt sich in die Obhut Mr. Astleys, eines recht nüchternen Engländers, der dem russischen Wuseln mit ironischem Lächeln zugesehen hatte und Alexej sogar freundschaftlich verbunden war. Dieser packt nun seinerseits restlos desillusioniert seine Siebensachen und geht gemeinsam mit der Ranschmeißerin Blanche nach Paris, wo das eben erworbene Geld im großen Stil verprasst wird. Geld weg, Blanche weg, Polina in weite Ferne gerückt – am Ende des Romans verfällt Alexej endgültig der Spielsucht und treibt sich als abgerissenes Gespenst auf den Roulettenburger Schicksalspfaden umher. „Ein echter Glückspilz ist nicht derjenige, der die besten Karten hat“, wie ein großer Geist einmal bemerkt haben soll, „sondern derjenige, der weiß, wann man vom Tisch aufsteht, um nach Hause zu gehen“.

Die Geschichte hinter der Geschichte ist mindestens so spannend, finden die Weinbeeren: Dostojewski selbst war auf einer Grand Tour durch die deutschen Lande dem Glücksspiel verfallen und zudem in eine nervenaufreibende Liebschaft zu einer gewissen Polina verstrickt geraten. Hinzu kamen Schulden, die aus dem plötzlichen Ableben des Bruders resultierten. So kam es, dass der ungekrönte König aller Fusselbartträger die Arbeit an seinem Opus Magnum „Schuld und Sühne“ im Sommer 1865 unterbrechen musste, um in 4 fiebrigen Wochen den Spieler zu diktieren und mit dem eingereichten Manuskript das gröbste Soll zu begleichen. Die Stenografin wurde anschließend vom Fleck weg geheiratet, und die Dostojewskis brechen wieder auf in den goldenen Westen, um noch ein wenig mehr Geld auf dem grünen Filz der Roulettetische liegen zu lassen.roulettenburg

Roulettenburg, Schokoseite…

doimlinque: Mesdames, j’ai l’honneur d’être votre esclave!

Diander: Das einmal zu hören, habe ich mir seit Ewigkeiten gewünscht. Darauf einen Dujardin, ne? Oder lieber Wodka?

Anchesa: Ja stimmt, so gut fing unsere Runde noch nie an. Einen Gorbatschow? Gute Idee.

doimlinque: Und ich dachte, ich würde jetzt zum Duell gefordert werden. Jut, Knut, mir auch einen Klaren. Und das Buch? Eure werte Meinung? Ich muss sagen, mir ist es ein wenig seltsam ergangen mit dem „Spieler“. Zum einen geht mir die Faszination für Glückspiel vollkommen ab, die sich anschließende Suchtproblematik ist für mich eine absolut abstrakte Größe. Zum anderen ist mir keine der Figuren des Romans wirklich sympathisch gewesen, so dass ich da Anteil hätte nehmen können, wenn die auf die eine oder andere Weise um ihre Selbstsucht rotieren. Und trotzdem – ein ziemlich großes Trotzdem – entwickelt die Geschichte einen Sog, der mich mitgerissen hat. Am Ende habe ich sogar ein wenig Mitleid mit dem Erzähler gehabt, obwohl gerade der sich in den ersten Kapiteln als ziemlicher Kotzbrocken geoutet hatte. Spricht für Dostojewski…

Diander: Was mich gleich zu Beginn irgendwie irritiert hat, war eine Art unvermittelter Einleitung, die Figuren werden nicht groß eingeführt, sondern man landet mitten auf dem Sofa einer großen, russischen oder europäischen Entourage. Und auch die Spielerei kam erst so ab der Hälfte der Geschichte ins Spiel (höhö). Eigentlich nimmt die Story erst mit Erscheinen der Babouschka, Tante so richtig Anlauf. Alles vorher empfand ich als Plänkelei. Und zum Glücksspiel: Mir ging es ähnlich wie Dir, vollkommen fremdes Terrain, schwer nachvollziehbar für mich. Wart Ihr schon mal in einem Casino?

doimlinque: Ja, und zwar in Sankt Petersburg! War voll mit besoffenen Japanern und russischen Prostituierten – genau der richtige Ort für mich.

zero

Zéro, Erbtantchens Lieblingszahl…

Anchesa: Ich war noch nicht im Casino, deshalb war ich wohl auch so hin und her gerissen. Einerseits hat Dostojewski diese Situationen am Roulette-Tisch echt gut beschrieben, selbst für mich war die Anziehung spürbar, wenn auch nicht begreifbar. Andererseits waren die meisten der Figuren für mich echt langweilig und teilweise abstoßend. Sympathisch war mir eigentlich nur Mr. Astley und teils die Erbtante.

doimlinque: Langweilig würde ich nicht sagen, ich fand zum Beispiel den Erzähler eher nervig in seinem fiebrigen Wahn und dieser ständigen Selbstanalyse. Und Astley ist mir am Schluss ein wenig zu blasiert vorgekommen. Aber die Tante hatte was, ja, wie die da mit einer fetten Arschbombe in diesen trüben Rouletteteich hüpft.

Diander: Die Rolle dieses Astley war mir von Beginn bis Ende schleierhaft, ich habe immer irgendwie auf einen Deus ex Machina bei ihm gewartet, kam aber nüschte. Ja, die Tante, großartig. Kein Zaudern, kein Zögern, ab in die Vollen und allen mal kurz den Marsch geblasen. That`s my girl!

doimlinque: Astleys Rolle habe ich aufgefasst als nüchternen Kontrast zu all den halb wahnsinnigen Russen. Zumal der ganze Text gespickt ist mit diesen klassisch-dostojewskischen Nationenklischees: Heißblütige Russen, dröge Deutsche, aufgeblasene Franzosen, und eben dieser eine Engländer, der sich von dem Spieltrieb nicht einfangen lässt, sondern immer ein wenig abgehoben und mit einem ironischen Lächeln die anderen beobachtet. (Aber dafür auch nicht wirklich das Leben in vollen Zügen lebt, wie die Russen.)

Anchesa: Ich habe Astley eher wie einen Regisseur über dem Ganzen empfunden. Überlegt und überlegen, immer den Überblick behaltend. Er wusste, was wo passiert war und wo eben auch mal eine helfende Hand (eher im Stillen) nötig war.

Diander: Hat mich noch nicht überzeugt, ich fand die Figur irritierend bis überflüssig. Weil er ja auch nicht in die Gesellschaft (die „Unsrigen“ frei nach Dostojewski) reinpasste. Genau, das ist der Punkt, warum treibt sich ein solcher Mann, wenn es denn so sein sollte, in der seltsamen Truppe umeinander. Irgendwie hat ja jede und jeder eine Beziehung zu allen anderen, Stieftochter, Vater, Arbeitgeber, Geldgeber, Schuldner, Abzocker, nur Astley nicht. Aber sei`s drum. Zum nächsten Punkt, den Nationalklischees. Das ist mir auch aufgefallen, übrigens nicht zum ersten Mal in Romanen aus dieser Zeit. Ich erinnere mich an einige Szenen in Büchern der Brontës, wo hemmungslos über Äußerlichkeiten und Wesen anderer Nationen hergezogen wird, die Belgier werden als dröge Flachgesichter bezeichnet, und so weiter. Scheint ein beliebtes Spielchen im 19. Jahrhundert gewesen zu sein, gegenseitig übereinander her zu fallen, heimlich und versteckt bis offen und unverblümt.

Anchesa: Eigentlich wollt ich noch was zu Astley sagen, aber gut. Mir ist das auch aufgestoßen, dieses strikte Klassen- bzw. Nationendenken. Besonders die Franzosen kommen bei Dostojewski gar nicht gut weg, oder?

doimlinque: Ich finde das ja hochkomisch, das gehörte mit zu den besten Passagen des Romans, wenn wieder mal ein ganzes Völkchen pauschal und bitterböse niedergemacht wurde. Am besten der große Rant gegen die Deutschen, der kulminiert in einem Satz, den ich mir glaube ich auf meinem Grabstein vorstellen könnte: „Ich will nicht nach fünf Generationen Hoppe & Co. werden.“ Im Grunde ist Dostojewski ein alter Scherzkeks, davon bin ich überzeugt. Dieses ganze melancholische Rumgeleide an der Existenz ist nur die Oberfläche.

Diander: Sicher ein Scherzkeks, aber dennoch wohl angeblich auch mit einer gehörigen Portion Selbstheilung. Ich weiß, doimlinque, Du hörst es normalerweise nicht gern, aber in der Geschichte scheint doch ein Stück Autobiografisches zu stecken. Dosto, der alte Zocker. Das dann mit der leicht ironischen Romanform zu verarbeiten, das verlangt schon einiges an Distanzierung, Selbstkritik einerseits und Beobachtungsgabe andererseits.

Anchesa: Mein Lieblingsspruch war: „Alle Russen, die Geld haben, gehen nach Paris.“ Jetzt weiß ich, warum mich Paris nie so interessiert hat. Ich denke aber, da ist nicht nur ein Stück Autobiographie drin, sondern im Gegenteil sehr viel. Dostojewski war ja auch Spieler und selbst die Polina war „seine“ Polina.

doimlinque: Tja. Ich bin ja tatsächlich immer jemand, der skeptisch ist, wenn es darum geht, literarischen Texten damit beikommen zu wollen, indem man biografische Eckdaten und Lebensumstände der entsprechenden Autorin sozusagen als Blaupause davorhält. Leben ist Leben und ein Roman ist Fiktion! (Und natürlich ist die Polina im Buch NICHT die Polina Dostojewskis, sondern eine Romangestalt.) Gleichwohl entsteht Literatur natürlich nicht in einem Vakuum und im Fall des „Spielers“ ist das Drumherum zu pikant und gleichzeitig zu gewichtig, um nicht wenigstens in einem Nebensatz ausgeschlachtet zu werden, zugegeben. Ist schon der Stoff für einen eigenen Roman, die Entstehungsgeschichte des Buches. Aber es zeigt auch die Kreativität Dostojewskis, der da in 25 Tagen die ganze Handlung runtergehechelt hat.

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Dostojewski, gedankenschwer…

Diander: Habt ihr eigentlich die Verfilmung mit Gregory Peck gesehen? Die ist ja schwer zu finden, aber mir ist es gelungen. Das war eine interessante Verquickung genau dieses Punktes, im Film ist Alexej kein Hauslehrer wie im Buch, sondern ein eigentlich erfolgreicher Schriftsteller, der sich mit der Spielsucht am Ende in den Ruin treibt und seine Seele einem geldgierigen Impresario verschreibt, einen Pfandschein auf alle künftigen literarischen Werke ausstellt. Damit wurde der autobiografische Aspekt auf die Spitze getrieben.

Anchesa: Ich hab den Film leider nicht gefunden, weder in der Bibliothek noch im Netz. Schade ich hatte mich drauf gefreut, weil Du mich ja drauf hingewiesen hattest.

doimlinque: Nee, habe ich auch nicht gesehen. Es sei aber noch einmal darauf hingewiesen, dass Gregory Peck schon auch eine ziemlich geile Sau war. Obwohl, als Getriebener ist das vielleicht nicht unbedingt die allerbeste Besetzung, wenngleich er natürlich auch mal den Ahab gegeben hat. Und Du hast ihn also in einer Kiste Deiner russischen Erbtante auf dem Speicher entdeckt, den Film?

Diander: Hihi, nö. Den Film gab es angeblich nie auf DVD, ich habe ihn *räusper* irgendwo im Netz gefunden.

doimlinque: Weiß die GEMA davon?

Anchesa: Na klar, die wissen alles.

Die Weinbeeren suchen den Film im www, finden ihn aber gerade nicht. Na gut, später, dann halt ein Prösterchen! Cheerio! (Von Gregory Peck träumt es sich auch ohne Vorlage gut… Und von Ava Gardner, die die Polina gibt, übrigens auch.)

doimlinque: Davon ab, was habt Ihr denn eigentlich für Buchausgaben in den Händen? Und vor allem welche Übersetzung? Ich habe hier ein Taschenbüchlein aus dem Jahr 1960, erschienen im Rowohlt Verlag, in der damals ganz jungen Reihe „Rowohlts Klassiker der Literatur und der Wissenschaft“. Die Übersetzung stammt allerdings aus den Anfangsjahrzehnten des 20. Jahrhunderts, von Alexander Eliasberg, einem ganz interessanten Türenöffner der russischen Literatur im deutschsprachigen Raum (der ist später in den 20ern staatenlos gestorben). Mit einem Nachwort von Svetlana Geier, die zuletzt alle großen Übersetzungsaufträge aus dem Russischen abgestaubt hat.

Diander: Von Madame Geier habe ich auch gehört, sie muss vor einiger Zeit auch den Spieler prominent übersetzt haben.  Ich hatte früher auch mal – glaub ich – diese Rowohlt Ausgabe, dann aber verliehen. Und wie das so ist mit verliehenen Büchern, das beleidigt sie aufs Tiefste und sie kommen nie zurück. Daher habe ich mir schon vor längerer Zeit mal im Vorbeiflanieren eine kleine, günstige Ausgabe von Anaconda geschnappt. Eine Übersetzung von Hermann Röhl. Wenn ich mich recht erinnere, ist das auch ein großer Russlandconnaisseur gewesen, ich meine, die Anna Karenina auch von ihm gelesen zu haben. Natürlich als Übersetzung des Originals.

Anchesa: Dann kann ich`s ja kurz machen, diese Ausgabe habe ich auch. Anzumerken noch, das Hermann Röhl in diesem Falle sich orientierte an der Übersetzung aus dem Jahre 1919 „Der Spieler und andere Erzählungen“ aus dem Leipziger Insel-Verlag.

doimlinque: 1919 spricht für Eliasberg, so rundet sich alles. Fein, fein.

Anchesa: Aber das mit dem Verliehenen kenn ich auch, Di. Besonders Bücher und DVDs. Seitdem verleih ich nur noch an wirklich gute Freunde.

Diander: Ich fühle mich geehrt…

doimlinque: Genug gekuschelt. Was sagt Ihr denn nun eigentlich zu der Handlung? Und zu den Figuren? Ich finde diesen Erzähler schon ziemlich denkwürdig in seiner Überspanntheit, in seinem Narzissmus, in seiner Unverblümtheit. Der hat eine gewisse Größe auch im Fallen, habe ich beim Lesen gedacht.

Anchesa: Ich finde immer noch, dass der Alexej charakterlich eher eine Niete ist. Er macht sich selbst – schon fast nervtötend – klein, ist schwach und irgendwie dumm. Dumm nicht in Beziehung Intellekt, sondern in Beziehungssachen. Er erkennt nicht Freund noch Feind, ist nur besessen von Polina und später dem Spielen bzw. dem Wunsch, durch das Geld Polina an sich zu binden.

doimlinque: Jedenfalls leidet er gerne, ist halt ein echter Dostojewski. Und gleichzeitig analysiert er sein Leiden mit so einer perversen Lust, es ist schon ziemlich extrem. Aber unterhaltsam.

Diander: Er jedenfalls ist eine der Figuren, die nicht so blutleer daherkommen. Eigentlich finde ich nur ihn, die alte Tante und vielleicht Blanche einigermaßen lebendig daherkommend – jede/r nach ihrer Façon. Wer mir sehr schleierhaft blieb, war beispielsweise Polina. Ihre Motive, ihre Neigungen, Gedanken bleiben sehr im Verborgenen. Aber das liegt vielleicht auch an der Zeit, dass die Verfasstheit der Damen wenig erörtert wurde. Obwohl, dagegen die Tante betrachtet…

doimlinque: Ischen halt, täterätäte ich sagen. Ist aber tatsächlich etwas, wo ich noch nicht drüber nachgedacht habe, vielleicht hast Du recht. Ich hatte aber vor allem den Eindruck, dass Alexej es der Polina in seiner Obsessivität auch nicht leicht gemacht hat, sich irgendwie gescheit zu ihm zu verhalten. Aber ursympathisch ist sie auch nicht, neinnein.

Diander: Obwohl sie eigentlich in der Geschichte die „weibliche Hauptrolle“ gibt, hat sie dafür sehr wenige Auftritte, das kommt noch hinzu. Wirkt so ein wenig als Motor hinter der ganzen Geschichte, aber ohne jemals klar ihre Hauptrolle zu bekommen. Das war das Blutleere, was ich meinte…

Anchesa: Ich finde, Alexej und Polina geben sich beide nichts. Sie spielt mit seinen Gefühlen, weist ihn regelmäßig zurück, ja bringt ihn sogar in Situationen, die für ihn existenzbedrohend sind. Und er lässt mit sich spielen, aber wenn`s drauf ankommt, für seine Liebe zu ihr zu stehen, da verfällt er dem Spiel und treibt sie so in die Arme von Mr. Astley. Ich denke aber nicht, dass das für alle „Damen“ der Zeit steht, eher für die „jungen, wohlerzogenen“, die sich nicht so geben dürfen, wie sie sind. Das zeigt ja auch Blanche und vor allem Erbtantchen, die ich großartig fand. Aber Polina gewinnt in dem ganzen Spiel mit Abstand das Meiste.

Diander: Wie, was gewinnt sie denn?

Anchesa: Na sie steht am Ende am besten da. Der General endet als Schoßhündchen in Paris, Alexej spielt sich um Kopf und Kragen und Polina erbt ihren Anteil von der Tante, hat auch ihre Geschwister versorgt und lebt dann erstmal ruhig und weit weg der Familie in Schweiz.

doimlinque: Also, wer in der Schweiz wohnt, hat auf gar keinen Fall gewonnen, das ist das eine. Und am besten steht doch wohl Blanche da, will mir scheinen. Die hat sich mit Alexejs Geld in die Pariser Großbourgeoisie eingekauft, das ist doch schon mal was. Sie ist auch in ihrer dauernden Unehrlichkeit eigentlich die Ehrlichste, wenn Ihr versteht, was ich meine. Die Tante ist zwar großartig, aber sozial doch nicht weniger eine Katastrophe, als die Restrussen. Kurzum, keiner kommt richtig gut weg, aber es sind eben auch die Aufzeichnungen eines wahnsinnig ich-fixierten Typen.

Anchesa: Blanche mag auf den ersten Blick gut dastehen, aber sie hat ja trotzdem kein neues Geld. Der General hatte ja auch nur noch einiges „Kleingeld“ und nicht umsonst sagte sie zum Abschied zu Alexej, er solle wiederkommen, wenn er wieder gewonnen hat.

Diander: Aber das ist doch auch kein „bestes Leben“, sich nur um des Geldes wegen an einen kurzbeinigen Geldgeber zu binden. Nein, ich finde auch, Blanche hat – zumindest aus heutiger Sicht – nichts gewonnen. Vielleicht eine gewisse materielle Absicherung, ebenso wie Polina, aber um welchen Preis? Ich finde diese Situation der Frauen, sich um ein gewisses Auskommen bemühend, egal in welcher Form demütigend. Und so war das halt damals, schröckelich. Verkauft und verscherbelt. Bah.

Anchesa: Vielleicht ist ja der wahre „Gewinner“ – wenn es denn einen gibt – der Mr. Astley. Er hat Polina ja auch vom ersten Sehen her geliebt, aber nie gekämpft um sie. Er sah, wie umschwärmt sie ist und zog sich zurück. Aber zum Schluss sitzt sie bei seiner Familie und erwartet (vielleicht) seine Ankunft dort. Zumindest kann er sich ihrer irgendwie „sicher“ sein.

doimlinque: Nee. Weil er weiß – und es auch offen zugibt -, dass sie nicht ihn will. Und gekämpft hat er sehr wohl, nur eben nicht so offen. Und nach Dostojewskis Dialektik würde ich denken, dass Astley viel zu unterkühlt ist, um wirklich jemals irgendwas zu gewinnen. Er hat halt Geld und gute Nerven, bitte sehr. Die Emotionen haben die anderen, und selbst im Unglück ist das nicht wenig. „Wonne in der tiefsten Erniedrigung und in der tiefsten Erbärmlichkeit“, schreibt Alexej an einer Stelle…

Paw, was für ein Zitat, was für ein Zwischenfazit für das Buch. Die Weinbeeren beenden einstweilen erst mal ihre verschriftlichte Diskussion. Und spielen eine Runde Mau-Mau statt Roulette, der Einsatz lautet Wodka. Die geneigte Leserin, der geneigte Leser ahnen aber, dass der Diskutierclub noch längst nicht am Ende ist, die Erfahrung mit den dreien zeigt, dass das Gelaber ziemlich sicher im Kommentarteil weiter geführt wird…Von wegen „Rien ne va plus“, paah! Wer mit schwätzen will und „den Spieler“ nicht kennt, kann diese Wissenslücke noch eben hier schließen

Der Schmachtfetzen aus 1949, den Diander gesehen hat, noch hier in Auszügen: Trailer  und erste Szene

Und außerdem lauschten die drei noch einem Hörspiel des NDR, gesprochen von Heinz Reincke, Heinz Klevenow, Hans Paetsch, Gisela Zoch-Westphal, Ida Ehre und anderen. Eine Hörprobe gefällig?

Anchesa, Diander und doimlinque

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Vingt-sept ou zéro? Wieder nichts, alles futsch…

56 Gedanken zu „Fear and Loathing in Roulettenburg

  1. Diander Autor

    Jetzt habe übrigens sogar ich endlich das Hörspiel von vorne bis hinten verfolgt (tätärätä). Die einzige Gelegenheit, bei der ich Hörbücher/Hörspiele schaffe, ist die Zeit, in der ich Stunden in der Küche verbringe, um Plätzchen zu backen oder ähnlich Langwieriges bastle. Was nicht so oft der Fall ist. In Unterscheidung zum Hörbuch fand ich es kurzweilig, weil es leicht anders aufgebaut als das Buch ist (übrigens ähnlich der der Verfilmung von oben) und damit Abwechslung zum Buch bringt. Und ich war seltsam gerührt, als ich die Stimme von Hans Paetsch wieder hörte, dessen Stimme mir noch aus den Märchenschallplatten und anderen Aufnahmen der Kindheit vertraut war. Hach.

    Grüßle, Diander

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    1. doimlinque

      Paetsch ist ein Held. Hier ist seine Stimme ja schon tief (das Hörspiel ist aus den 1950ern), in späteren Jahren ist die dann noch mal ein paar Halbtöne runtergeschraubt. (Was ist tiefer als tief? Abgrundtief!)

      Ich mag hier auch den zurückhaltenden Sound, der ergänzt und nicht überlagert. Eine richtige Geräuschkulisse im Wortsinn. Und es wird deutlich, was für ein guter Dialogeschreiber Dostojewski gewesen ist. Die Schau stiehlt – wie immer – das Tantchen.

      …die Zeit, in der ich Stunden in der Küche verbringe, um Plätzchen zu backen…
      Das war es eigentlich, was wir hören wollten. Und sogar noch vor dem 1. Advent!

      Gruß, d.

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      1. Diander Autor

        Paetsch ist ein Held.

        Das war genau die Formulierung, die ich auch erst in meinem Kommentar wählen wollte, ja! Heinz Reincke, der den Alexej sprach, hat mich stimmlich unglaublich an Axel Milberg erinnert.

        Die Schau stiehlt – wie immer – das Tantchen.

        Famos, ja, die große Ida Ehre, macht ihrem Namen selbige.

        Das war es eigentlich, was wir hören wollten. Und sogar noch vor dem 1. Advent!

        Natürlich vorher, damit es pünktlich zum Advent was gibt, nach Weihnachten mag das doch keiner mehr essen. Wie zum Beweis, dass Hörbücher und ich keine Freunde sind: Im Anschluss an den Fjodor habe ich mir gleich noch wieder „Christmas Carol“ eingelegt und prompt unterm Lauschen das Mischungsverhältnis der Zutaten verwechselt, zuviel Zucker ins Mehl. Musste also Mehl nachschütten, damit es wieder passt und habe jetzt die unglaubliche Menge Teig von 1800 gr Mehl plus restliche Zutaten, in der Summe über 4 Kilo Teig kneten müssen. Jessas…

        Grüßle, Di

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        1. doimlinque

          Natürlich vorher, damit es pünktlich zum Advent was gibt, nach Weihnachten mag das doch keiner mehr essen. Wie zum Beweis, dass Hörbücher und ich keine Freunde sind: Im Anschluss an den Fjodor habe ich mir gleich noch wieder „Christmas Carol“ eingelegt und prompt unterm Lauschen das Mischungsverhältnis der Zutaten verwechselt, zuviel Zucker ins Mehl. Musste also Mehl nachschütten, damit es wieder passt und habe jetzt die unglaubliche Menge Teig von 1800 gr Mehl plus restliche Zutaten, in der Summe über 4 Kilo Teig kneten müssen. Jessas…

          Blablablubb. Bottom Line: Es gibt mehr Plätzchen, meine Adresse hast Du ja.

          Gruß, d.

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          1. anchesa69

            Da hast jetzt Pech, ich hab schon ein Kilo davon erhalten ;-)

            Dies war einer von wenigen Fällen, wo mir mal das Hörspiel über das Buch ging. Sonst ist eigentlich meist das Buch mein Favorit. Aber das war echt Klasse! Und die Beste war für mich die „Tantchen“-Sprecherin. Ich hatte beim Hören irgendwie sofort das Bild der alten „Brigitte Horney“ vor Augen. Das passte vorne und hinten.

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    1. Diander Autor

      Der Link hat bei mir nicht gefunzt, ich probiers mal mit dem hier.

      Ich kenne davon nur die Filme, das Buch habe ich nie gelesen (doimlinque aber jede Wette…). Lohnt sich das? Tatsächlich ist das bunt zusammen gewürfelte Trüppchen sehr ähnlich, ja. Und natürlich der Film mit Lana fucking Turner und dem coolen Richard Burton, leider geblackfaced (sagt man so?). Wenn ich mich recht entsinne, etwas für lazy Sonntagnachmittage.

      Grüßle, Diander

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    2. doimlinque

      Isn ditte? Nee, habe ich nicht gelesen, und lustigerweise kenne ich nur den schwarz-weiß-Film, nicht die Lana fucking Turner-Variante.
      War mir aber nicht bewusst, dass das auf einem Buch von Bromfield basiert. Als einer aus dem Gertrude Stein-Umfeld in Paris ist mir der ein Begriff. Ist gut, ja? Aber die Dostojewski-Verwandschaft ist nur sehr lose, oder?

      Gruß, d.

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      1. justrecently

        Ich habe gar keine der Verfilmungen gesehen, aber den Roman mehr als einmal gelesen. Einer von mehreren, bei denen Bromfield den Sack nicht richtig zumacht, aber dafür hinreißende Beobachtungen liefert. An diesen Ausländercommunities hat sich bis heute nicht viel geändert.

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        1. doimlinque

          An diesen Ausländercommunities hat sich bis heute nicht viel geändert.

          (Späte Antwort ist auch eine Antwort, ich war ein paar Tage offline.) Hmm. Mag sein, oder auch nicht, ich müsste mir erst mal einschlägige „Ausländercommunities“, die hier gemeint sein könnten, vor Auge halten. Was in jedem Fall nicht mehr so wie wenigstens im Roman gegeben ist, scheint mir die charmante Dekadenz europäischer Kurorte zu sein. Die heißen heuer ‚Wellnessoasen‘ oder ‚Rehazentren‘. Und das Geld verliert man im Unterhemd auf dem heimischen Sofa hinter dem PC sitzend, ungewaschen, unrasiert, unerhört.

          „Krieg und Frieden“, uff. Ich finde ja, das auch manche gescheiterten Experimente ihren Wert haben. Und der Roman als solcher ist bekanntlich „progressive Universalpoesie“, der darf und soll von mir aus nicht nur Erzählung bieten, wenn der Autor das schlüssig zwischen zwei Buchdeckel bringen kann. Ob Tolstoj das nun gelungen ist, tja, die einen sagen so, die anderen so.

          Gruß, d.

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      2. justrecently

        Aber stimmt schon – die Verbindung ist lose. Ich habe mich mal durch „Krieg und Frieden“ gequält, abschnittsweise sogar mit Gewinn. Aber mein Banausenbewusstsein fand, Tolstoj hätte sich entscheiden sollen: Philosophie oder Erzählung.

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        1. Diander Autor

          Tolstoj hätte sich entscheiden sollen: Philosophie oder Erzählung.

          Jetzt ist mir ein Begriff eingefallen: Eher Sittengemälde, oder Epochengemälde. Das finde ich passend.

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      3. Diander Autor

        Nee, habe ich nicht gelesen…

        Jööö, nu weiß ich, wie es sich anfühlt, im Casino auf schwarz gesetzt zu haben, und dann kommt rot.

        Aber die Dostojewski-Verwandschaft ist nur sehr lose, oder?

        Ich finde tatsächlich, dass da Ähnlichkeiten bestehen, die national, standesmäßig, finanziell und hierarchisch bunt gemischte Truppe an Hauptakteuren, die in ein wildes Durcheinander und tête-à-tête geraten, auf die Parallele muss man erst mal kommen.

        LG, Di

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  2. Rüdiger Grothues

    Neben den Roman in Buchform (Ausgangspunkt), die Verfilmung(en) und Hörbücher tritt jetzt im Hamburger Thalia-Theater eine Theateraufführung des Spielers (Inszenierung: Jan Bosse).
    Bosse experimentiert ein wenig mit dem Raum und platziert die Zuschauer, die auf gepolsterten weißen Barhockern sitzen, mitten ins Bühnenbild. Diese sind somit Teil des Spielsalons mitsamt Flügel, Musikbox und Roulette. Das Geräusch der rollenden Kugel ist über die Lautsprecher zu vernehmen, dazu gibt es offene Sektflaschen und jede Menge Theatergeld. Es handelt sich also in etwa um den Ort, in dem sich die Weinbeeren wohlfühlen dürften, nimmt man hinzu, dass im Laufe der Inszenierung auch mal das Publikum beschimpft wird. Man kennt das ja, Handke und so.
    Und vor allem „reden Alexej und Polina aneinander vorbei, dass es wehtut“ (so Frauke Hartmann in der FR v. 29.11., Quelle auch für das Übrige).
    Wermutstropfen: Nach der Pause sieht sich das Publikum wieder auf die üblichen Plätze verwiesen und schaut aus gewohntem Abstand auf das Geschehen.
    (Thalia Gaußstraße, Der Spieler, noch am 23., 27., 28. Dezember)

    Habe mir bei einer großen rheinischen Bibliothek ein Hörbuch bestellt, das den dürftigen Angaben nach das von euch so gepriesene sein dürfte (Heinz Reincke („Adrian, der Tulpendieb“!!!) und andere Hochkaräter), gehe die Sache also mal ganz anders an, obwohl sich ein russischer Roman dafür nicht eignet, es sei denn, das Booklet hat ein Namensregister, was aber natürlich der Fall sein dürfte, weil ja die Sprecher mit ihren Rollen aufgeführt sein dürften, und überhaupt ist spätestens jetzt nicht zu übersehen, dass ich kein Hörbücherhörprofi bin.
    Nuff said.

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    1. doimlinque

      Von Jan Bosse hört man manch Gutes, bis nach HH werde ich es in diesem Dezember aber nicht mehr schaffen. (Und sowieso würde ich mein Geld glaube ich für ein Konzert in der Elbphilharmonie aufsparen, um mitlästern zu können.) Ich habe vor einiger Zeit eine dramatisierte Fassung von „Strafe und Verbrechen“/“Schuld und Sühne“ gesehen (und dereinst auch in einem anderen Forum darüber gebloggt), das war schon ziemlich gut, nicht zuletzt, weil Dosti eben ein erstklassiger Dialogschreiber war. Offene Sektflaschen! Hammer!

      Ein Hörbücherhörprofi, hört, hört, was es alles gibt. Warum die Russen sich nicht dafür eignen sollen, ist mir wohl nicht ganz klar geworden. Gerade diese klassischen Erzähler aus dem 19. Jahrhundert lesen sich ganz vorzüglich vor. Aber hier haben wir es ja mit einem Hörspiel zu tun, da mag es anders sein…

      Gruß, d.

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      1. Rüdiger Grothues

        „Warum die Russen sich nicht dafür eignen sollen, ist mir wohl nicht ganz klar geworden.“
        War vielleicht zu verklausuliert oder so etwas in der Art, der Gedankengang hat sich in mir etwa so abgespielt:
        Oh, russischer Roman, das bedeutet Namenswirrwarr oder zumindest -vielfalt:

        Bagratión Armeekommandeur
        Baláschew Baláschew Generaladjutant des Zaren
        Berg 1 Alfons Kárlytsch Berg Adolf Offizier deutscher Herkunft
        Berg 2 Vera Iljínitschna Berg, geb. Rostówa Frau von Berg 1, älteste Tochter von Rostów 1
        Besúchow 1 Graf Kiríll Wladímirowitsch Besúchow
        Besúchow 2 Graf Peter, Pjotr Kiríllowitsch Besúchow Pierre unehelicher Sohn von Besúchow 1
        Besúchow 3 Gräfin Helene Wassíljewna Besúchowa geb. Kurágina Lola 1. Frau von Besúchow 2
        Besúchow 4 Gräfin Natalie Iljinitschna Besúchowa geb. Rostówa Natáscha 2. Frau von Besúchow 2
        Besúchow 5 Prinzessin Katharina Semjónowna Mamontowa Catíche Nichte von Besúchow 1
        Besúchow 6 Prinzessin Olga Mamontowa Nichte von Besúchow 1
        Besúchow 7 Prinzessin Sophie Mamontowa Nichte von Besúchow 1
        Besúchow 8 Ósip, Òssip Alexéjewitsch Basdjéjew Jósif, Jóssif bedeutender Freimaurer
        Bilíbin Bilíbin Diplomat
        Bolkónski 1 Fürst Nikolái Andréjewitsch Bolkónski „der alte Fürst“
        Bolkónski 2 Fürst Andréj Nikolájewitsch Bolkónski Andrúscha, André Sohn von Bolkónski 1
        Bolkónski 3 Prinzessin Márja Nikolájewna Bolkonskaja verh. Rostów Marie, Máscha Tochter von Bolkónski 1
        Bolkónski 4 Fürstin Elisabeth, Lisaweta Kárlowna Bolkonskaja geb. Meinen Lisa, Lise Frau von Bolkónski 2, „die kleine Fürstin“
        Bolkónski 5 Fürst Nikolái Andréjewitsch Bolkónski Nikóluschka, Nikólenka Sohn von Bolkónski 2
        Bolkónski 6 Mademoiselle Amalia Jewgénjewna Bouriénne Amélie Gesellschafterin von Bolkónski 3
        Bolkónski 7 Tíchon Kammerdiener bei Bolkónski 1
        Bolkónski 8 Jákow Alpátytsch Verwalter bei Bolkónskis, = Bolkónski 9
        Bolkónski 9 Jakob Alpátitsch Verwalter bei Bolkónskis, = Bolkónski 8
        Davoút Marschall Davoút, Herzog von Eggmühl Vertrauter Napoleons
        Denísow 1 Wassíli Dmítrytsch Denísow, Deníssow Wáska Husarenoffizier, Freund von Rostów 3
        Denísow 2 Lawrénti Lawrúschka Bursche von Denísow 1, später von Rostów 3
        Dólochow 1 Márja Iwánowna Dólochowa
        Dólochow 2 Fjódor Iwánowitsch Dólochow Fédja Sohn von Dólochow 1, Offizier und Abenteurer, Zechbruder von Kurágin 4
        Drubezkói 1 Fürstin Ánna Micháilowna Drubezkája
        Drubezkói 2 Fürst Borís Drubezkói Bórja, Borenka Sohn von Drubezkói 1
        Karágin 1 Fürstin Márja Lwówna Karágina
        Karágin 2 Júlja Karágina Julie Tochter von Karágin 1
        Karatájew Platón Karatájew ein kriegsgefangener Bauer
        Kurágin 1 Fürst Wassíli Sergéjewitsch Kurágin Basile
        Kurágin 2 Fürstin Alína Kurágina Aline Frau von Kurágin 1
        Kurágin 3 Fürst Ippolít Wassíljewitsch Kurágin ältester Sohn von Kurágin 1
        Kurágin 4 Fürst Anatól Wassíljewitsch Kurágin jüngster Sohn von Kurágin 1
        Kurágin 5 Prinzessin Helene Wassíljewna Kurágina verh. Besúchowa Lola Tochter von Kurágin 1
        Kutúsow General Micháil Illariónowitsch Kutúsow Oberkommandierender der Armee
        Napoleon Kaiser Napoleon I. Bonaparte
        Rostoptschín Graf Rostoptschín Gouverneur von Moskau
        Rostów 1 Graf Iljá Andréjewitsch Rostów Elie „der alte Graf“
        Rostów 2 Gräfin Natalie Rostówa geb. Schinschina Frau von Rostów 1, „die alte Gräfin“
        Rostów 3 Graf Nikolái Iljítsch Rostów Nikólenka, Nicolas, Nikóluschka, Kolja, Koko ältester Sohn von Rostów 1
        Rostów 4 Graf Peter, Pjotr Iljítsch Rostów Pétja jüngster Sohn von Rostów 1
        Rostów 5 Vera Iljínitschna Rostówa, verh. Berg älteste Tochter von Rostów 1
        Rostów 6 Natalie Iljínitschna Rostówa verh.Besúchowa Natáscha jüngste Tochter von Rostów 1
        Rostów 7 Gräfin Márja Nikolájewna Rostów geb. Bolkonskaja Marie, Máscha Tochter von Bolkónski 1
        Rostów 8 Sófja Alexándrowna Sónja Nichte von Rostów 1
        Rostów 9 Márja Dmítrijewna Achrosímowa Verwandte von Rostów 1
        Rostów 10 Peter Nikolájitsch Schinschin Cousin von Rostów 2
        Rostów 11 Dimítri Wassíljewitsch Mítenka Verwalter bei Rostóws
        Sachárytsch Dron Sachárytsch Drónuschka
        Timóchin Timóchin Infanterieoffizier
        Túschin Túschin Artillerieoffizier
        Zar 1 Zar Alexander I. Páwlowitsch Romanow Zar 1801–1825
        Zar 2 Großfürst Kónstantin Páwlowitsch Romanow Bruder von Zar 1
        Zar 3 Zarinmutter Maria Feódorowna Mutter von Zar 1
        Zar 4 Ánna Páwlowna Scherer Annette Hofdame von Zar 3

        So in etwa (hoffentlich zerbricht der Kommentarstrang nicht).
        Deshalb bin ich dankbar für den -ja auch bezeichnenden- Brauch, diesen Büchern ein Namensverzeichnis beizufügen (blätter hierhin, blätter dorthin…). Dann der Gedanke: Mist, beim Hörbuch geht das ja nicht, da gibt es nur das fortschreitende Lauschen. Dann der rettende Gedanke an das Booklet und die dort wohl vorzufindenden essentiellen Angaben.

        Grüße von
        RG

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        1. Diander Autor

          Ich finde ja mal, dass es genau an der Stelle auch einen klitzekleinen Unterschied zwischen Tolstoi und Dostojewski zu bedenken gilt, besonders hier zwischen dem „Spieler“ und dem Tolstoischen „Krieg und Frieden“ auszumachen. Beim Nachdenken über Deine Namensliste fiel mir für „Krieg und Frieden“ der Begriff „Epochengemälde“ ein, während der „Spieler“ in der Summe personell eher einem Kammerspiel ähnelt, die Liste der auftretenden Personen ist relativ übersichtlich, gemessen am Rostowschen Clan. Und sich daher aus meiner Sicht auch für ein Hörbuch und/oder Hörspiel besser eignet. Ähnliches gilt auch ein wenig für Schuld und Sühne, das ich gerade lese, und ich gebe doimlinque Recht, dass Dostojewski priml auf die Bühne passt (auch wenn ich HH die nächsten Wochen eher auch nicht gebacken kriege, schade, Marmelade….), während es z.B. bei „Krieg und Frieden“ da locker mal statische Schwierigkeiten für den Bühnenboden geben dürfte.
          Da bin ich ja mal auf Deine Einschätzung nach dem Anhören gespannt.

          Grüßle, Diander

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          1. doimlinque

            Gespannt auf die Einschätzung bin ich auch.

            Und dann schwirren mir noch zwei Dinge im Kopf herum: Zum einen wundere ich mich ein wenig, dass hier schon wieder Tolstoi und Dostojewski mehr oder minder gleichgesetzt werden. Natürlich gibt es da große Gemeinsamkeiten, aber ich sehe auch mindestens so große Unterschiede zwischen den beiden. Und eine Debatte über „die russische Seele“, die vermeintlich alle Schreiberlinge dort eint, mag unterhaltsam sein, ist aber doch auch immer stark verkürzend und wischiwaschi. „Der Spieler“ und „Krieg und Frieden“ halte ich jedenfalls für meilenweit auseinanderliegend.

            Die Sache mit den Namen in „Krieg und Frieden“ ist freilich frappant, zumal es im Russischen üblich ist, dreihundertachtzigtausend Kosenamen gleich mit einzuführen. So übersteigt die tatsächliche Zahl der Namen noch einmal deutlich die des behandelten Personals. Schwierig und unübersichtlich, einerseits. Andererseits hat mir das bei der Lektüre eigentlich nie wirklich Steine in den Weg gerollt, wenn ich es recht bedenke. Die wirklich relevanten Charaktere, um die der Plot kreiselt, sind mir wenigstens nie verschollen gegangen. Alle anderen sind Beiwerk, gut geeignet zum flüchtigen Überlesen.

            Gruß, d.

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            1. Rüdiger Grothues

              Schon klar, die Weinbeeren gelten gemeinhin als Differenzierungsmonster, aber ihre Leser könnten schon in der Lage sein, den Leo und den Theodor zu unterscheiden, und auch das „Kammerspiel“ Der Spieler und das „Epochengemälde“ Krieg und Frieden.
              Und es war doch klar erkennbar, dass die Namensliste aus dem „Sittengemälde“ dazu diente, dem Affen Zucker zu geben…
              Nachdem dies nun gesagt worden ist, nochmal kurz zu den leidigen Namensmerkschwierigkeiten bei gewissen russischen Wälzern: Diese können zum Beispiel auftreten wegen des chauvinistischen russischen Gebrauchs des Patronyms (gegen den Gebrauch des Metronyms täten sich naturgemäß weit weniger Vorbehalte finden lassen).

              Auch dies nun gesagt habend, kann ich vermelden, dass die beiden Hörbücher eingetroffen sind. Leider war dieser Umstand mit einer Enttäuschung verknüpft (Cliffhänger).

              Ich hoffe, ihr seid gut ins neue Jahr gekommen:
              Как Новый год встретишь, так его и проведёшь.
              Viele Grüße von
              Rogor Leonid Bockerinow

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              1. Rüdiger Grothues

                Die Enttäuschung also gleich nach Eintreffen der beiden Silberlinge nebst spärlichsten Informationen (die Booklets gehen schnell verschütt): Das von euch so gelobte, von hochkarätigen Sprecherinnen sowie auch Sprechern eingesprochene HörSPIEL befand sich leider nicht darunter.
                Gut, dann also eine reine Lesung, ist doch auch was. Ich entschied mich für die von Michael Schwarzkopf gelesene Fassung, weil sie auf der neueren, hochgelobten Übersetzung von Swetlana Geier fußt und keiner Kürzung unterzogen wurde.
                Ist echt mal was anderes, so ein Buch vorgelesen zu bekommen. Aber man traut der Sache nicht so ganz: Steht das wirklich da? Lässt die Literaturpolizei es zu zu sagen, das Buch zu kennen, wenn ich kein gedrucktes Werkstück in Händen gehalten habe? Was sagt der Hörer auf einer Schlaumeierparty: Ahh, Krieg und Frieden, habe ich ganz gelesen, ähh gehört (als ich drei Monate als Pizzaexpressfahrer gearbeitet habe)? Keine Verwechslung – Krieg und Frieden macht als Schwarte doch viel mehr her…
                Die letzten drei Kapitel habe ich dann in der alten Hermann Röhl-Übersetzung gelesen.

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                1. doimlinque

                  Mein altväterlicher Chauvi-Rat: Einfach mal in „Hundert Jahre Einsamkeit“ von Gárcia Márquez reinschnuppern oder in „The Sound and the Fury“ von Faulkner oder in „Die Bibel“ von Gott. Hinterher schrumpft (fast) jedes russische Namenspotpourri auf die überschaubare Größe eines handelsüblichen Wodkaflaschendeckels.

                  Und dann: Wer geht denn auch bitte auf Schlaumeierparties? Selbst Schuld! Ich persönlich würde jedenfalls immer behaupten, den Großteil von Astrid Lindgrens Büchern zu kennen, obwohl ich von den meisten nicht eine Zeile selbst gelesen habe. Nur so als Beispiel. Abgesehen davon ist ein gut vorgelesenes Hörbuch große Kunst, und das meine ich ganz ironiefrei. (Viel eher wäre zum Beispiel bei Dramen die Frage, ob man sie wirklich kennt, wenn man sie nur gelesen, die entsprechende Aufführung aber nicht gesehen hat. Und zwar mindestens in drei unterschiedlichen Produktionen an unterschiedlichen Häusern. Aber das sind LitWiss-Insiderprobleme. Letztlich: Ich kannte John Lennon auch nicht, habe die Beatles nie live und in Farbe gesehen, trotzdem bin ich beim Mitträllern textsicherer als meine Eltern. So what…)

                  Am Ende: Ja, die krieg-und-frieden-hörenden Pizzaexpressfahrer, fürwahr ein gewichtiges Massenphänomen. Wie sind die jetzt einzuordnen?!? Eierkopf vs. Aufschneider. Meine Meinung an dieser Stelle ist schon seit jeher gewesen, dass wir Hüter des kulturellen Elfenbeinturms auch mal fünfe gerade sein lassen und die Expressionisten ergo in den Reihen der cognoscenti willkommen heißen sollten. Wo hier doch wirklich einmal die abendländische Kultur hochgehalten wird! Für mich bitte mit extra viel Käse.

                  Gruß, d.

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                  Antwort
                  1. Rüdiger Grothues

                    Vor diesem selbstbewussten Statement kann der Pizzaexpressfahrer nur die Ausfahrerkappe ziehen und ehrfurchtsvoll stammelnd anfragen: Mozzarella oder Büffelkäse?

                    In Bälde & umgehend mehr, habe mich letztens wahrscheinlich in meinem Pizzaexpresstoyota zu sehr festgehört.
                    Grüße von
                    Rüdiger

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                1. Rüdiger Grothues

                  Dir auch ein gutes gesundes und lesensstarkes neues Jahr, das klingt nach einer sehr guten Kombination – und ich bleibe selbstverständlich dran!
                  RG

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              2. Diander Autor

                Um dem Affen nochmal Zucker zu geben und um eine aktuelle Wasserstandsmeldung zu bereichern: Ich kaue immer noch an „Schuld und Sühne“, einem gewissen Zeitmangel geschuldet. Und obwohl das Ganze eigentlich höchstspannend ist, stelle ich gerade im letzten Drittel auch die von Dir monierten Namensschwierigkeiten fest. Die Pjotr Petrowitschs, die Andrej Semjonowitschs, die Amalia Iwanownas, andernorts als Luschin, Lebesjatnikow, Amalia Ludwigownas aka Lippewechsel bezeichnet. Während es bei den Hauptpersonen noch relativ einfach ist, sie zu verfolgen, finde ich das hier auch in den Nebensträngen leicht bis mäßig verwirrend.

                Как Новый год встретишь, так его и проведёшь.
                Der Google-Dolmetscher formuliert: Als treffen Neujahr, es so zu verbringen.
                Dem sei ein herzhaftes „ebenso“ beigefügt!

                Grüßle, Diander

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                1. Rüdiger Grothues

                  Sorry, die letzten Zeilen waren einer Wahrnehmungsdelle zum Opfer gefallen:
                  Alexéj, der sich aus unerfindlichen Gründen jetzt in Lindau am Bodensee aufhält, nachdem es ihn eine Zeitlang nach Rietzlern, zur österreichischen Seite des Kleinwalsertals hin verschlagen hatte (Schmugglerlinie), pflegte es so zu übersetzen: Как Новый год встретишь, так его и проведёшь. – Wie du das neue Jahr empfängst, so wirst du es auch verbringen.

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                  1. Diander Autor

                    Ayayay, sich Riezlern von der österreichischen Seite zu nähern, ist aber schon Schmugglertum für Fortgeschrittene, mit Erfahrung in schwarzen und roten Pisten.

                    Wie du das neue Jahr empfängst, so wirst du es auch verbringen.

                    Aaaah, aahsoo. Obwohl ich die Google Übersetzung auch nicht ohne Charme fand.

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                    1. Rüdiger Grothues

                      Habe mal, noch als Schüler, in Baad eine Bergausbildung mitgemacht (war eine Schultradition bei uns, Lebenserfahrung sammeln und so, nicht nur in Kneipen und Casinos rumlungern), samt Wintereinbruch und Einschneien in einer Berghütte in 3000 Meter Höhe, da konnten eigentlich nur die russischen Schlittenhunde noch helfen.

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                    2. Rüdiger Grothues

                      Schmaler werden die Einlassungen hier nicht mehr, sagt die Setzerin, und meint die Inhalte.

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                    3. Rüdiger Grothues

                      Durch diese hohle Scharte muss er kommen, keine Frage…
                      Jüngsten Gerüchten zufolge soll sich der Spieler in Richtung der venezianischen Casinos aufgemacht haben, was immer auch dahintersteckt.

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                    4. Diander Autor

                      Venedig ist wahrscheinlich pittoresker als Homburg oder Wiesbaden. Auch wenn die Casinos austauschbar sind, Filz ist grün. Wenn die Gerüchte stimmen, keine schlechte Wahl.

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  3. Rüdiger Grothues

    Hier ergänzend kurz das, was mir so einfiel beim Hören der Studiolesung von Michael Rotschopf (ungekürzt, Swetlana Geier-Übersetzung) und des Hörspiels aus den Fünfzigerjahren sowie beim Lesen der letzten Kapitel in der alten Kohl-Übersetzung:
    Das Genderfässchen kann getrost geschlossen unter dem Croupier-Stuhl stehen bleiben, aber beim Lesen der Schlussszene fiel es mir wie Schuppten von den Augen – die Frauen halten die Zügel fest in der Hand.

    Das ist natürlich offensichtlich im Fall der Tante, „die da mit einer fetten Arschbombe in diesen trüben Rouletteteich springt“ (doimlinque), „kein Zaudern, kein Zögern, ab in die Vollen“ (Diander).
    Spätestens in der Schlussszene, in Abwesenheit, demonstriert Polina ihr Regietalent, indem sie schlussendlich Astley als Kundschafter und Botschafter nach Homburg schickt (das für Astleys Verhältnisse in einem Gefühlsausbruch gemachte Geständnis fällt im Höspiel leider unter den Tisch). Ferndiagnosen sind so eine Sache, aber vielleicht könnte man die Dame vieler männlicher Herzen auch Polina Borderlina nennen. Erinnert sei daran, wie sie den Spieler zur Nummer mit den Barons animierte. Womit doimlinque bei den Weinbärinnen mühelos reussierte, ging im Kurpark voll daneben.
    Und Blanche orientiert sich, nach schlechten früheren Erfahrungen im Roulettebiotop, am Marquis und damit zur Gläubigerseite hin. Dann nutzt sie Alexéjs Gewinn, um sich in Paris gesellschaftlich in Stellung zu bringen, mit offenem Visier, denn sie macht sich lustig über dessen (Nicht)Verhältnis zum Geld.

    Womit wir beim Hauslehrer, beim Spieler sind.
    Der Suchtberater kreist vielleicht zwanghaft um den Gedanken, ob Alexéj zwanghaft die Louisdors in die Spielbank tragen wird. Der Schlüssel zu seinem Verhalten könnte aber in dem zuvor Gesagten liegen. Das kann einen in die Bedrouille bringen.

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    1. Diander Autor

      Das Genderfässchen kann getrost geschlossen unter dem Croupier-Stuhl stehen bleiben, aber beim Lesen der Schlussszene fiel es mir wie Schuppten von den Augen – die Frauen halten die Zügel fest in der Hand.

      Ganz würde ich das Genderfässchen nicht verkorken, immerhin haben die Frauen kaum die Möglichkeit, ihr Ein- und Auskommen aus eigener Kraft zu gestalten und müssen daher die Zügel so halten, dass ihnen die Gäule nicht komplett durchgehen. Ich weiß nicht, was da besser ist, das traurige Leben eines Hauslehrers mit der Möglichkeit, zu kündigen, wenn es gar zu arg wird, oder eines Mündels wie Polina (sehr schön: Borderlina), die bei zu strengem Anziehen der Zügel mindestens als hysterisch o.ä. bezeichnet wird. Wenn nicht gleich gar einem reichen, alten Sack verheiratet wird. Ohne Kündigungsrecht.

      Aber sag an, wie hat das Hörspiel gefallen, im Vergleich zum Hörbuch?

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    2. doimlinque

      Ferndiagnosen sind so eine Sache, aber vielleicht könnte man die Dame vieler männlicher Herzen auch Polina Borderlina nennen.

      „Mädchensein allein ist keine Tugend“, haben vorzeiten ein paar Berliner Lieblinge des Feuilletons treffend geträllert. Und Polina verfügt definitiv über ein gerüttelt Maß an Durchtriebenheit. Von Tantchen ganz zu schweigen, bei deren Enthemmtheit man schon gar nicht mehr wirklich von ‚Zügel in der Hand halten‘ sprechen kann – die Alte kennt nur Vollgas.

      Allerdings, allerdings…ich sehe da schon auch wie Di tendenziell so eine Art Scheinmacht am Ruder. Denn ohne Schotter ist alles nichts, und den verwalten am Ende die Herren (mal mehr, mal weniger glücklich). Auch die Tante ist plötzlich ganz kleinlaut, nachdem sie ihre Barschaft im Casino gelassen hat. Mächtig ist sie ohnehin nur, weil ihr Mac verstorben ist.
      Sucht man also einen Schuldigen für die Misere, müsste es also heißen: Cherchez la femme près d’argent.

      Gruß, d.

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      Antwort
    3. Rüdiger Grothues

      So ganz linear iSd Genderfässchens ist die ökonomische Situation der Frauen wohl nicht zu sehen, gerade im alten Russland nicht, denken wir an Olga die Heilige, Sofia Alexejewna, Katharina I., Anna, Elisabeth und den Oberknaller Katharina II die Große.
      Und die Tante ist ja, lassen wir den Gesellschafter einer Zuckerfabrik mal beiseite, die ökonomische Zentralfigur.
      Und hysterisch? Den Hysteriker im Biotop spielt für mich eindeutig der General…

      Polina als Mündel? Im Roman ist, soweit ich mich erinnere, nur davon die Rede, dass sie die Stieftochter des Generals sei. In Familienangelegenheiten übersehe ich aber ganz gerne mal was. Der General müsste im Biotop dann der Vormund sein, aber eine wirkmächtige Weisungsgebundenheit Polinas im Hinblick auf den General kann ich nicht erkennen.
      Auch was die Kinder angeht, nicht – womit wir beim nicht sensationsträchtigen, aber wichtigen Pluspunkt sind: Polina kümmert sich um die Kinder.

      Den Schotter verwalten am Ende die Männer, könnte man zwar meinen… aber vielleicht macht sich hier der Spieler Dostojewski mehr als einen Spaß: Der hysterische Schuldner, der General, verliert seine Gesundheit und sein Erbe an Blanche, der nervöse Gläubiger verschwindet im Nichts, und Astley ist ja gleichbleibend, statisch in einer komfortablen Situation, schlicht ein Privilegierter. Die Verwalter machen nicht viel her.
      Dostojewski würde es vermutlich heute auch so wenden: „Und das Geld verliert man im Unterhemd auf dem heimischen Sofa hinter dem PC sitzend, ungewaschen, unrasiert, unerhört.“ (doimlinque). Einen Kurpark braucht es nicht mehr.

      Viele Grüße von
      Rüdiger

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      1. doimlinque

        Hmm. Die – bei Licht betrachtet doch sehr überschaubare – Auflistung russischer Herrscherinnen scheint mir nicht wirklich ein Argument gegen die These der fundamentalen ökonomischen Abhängigkeit der Frauen im Allgemeinen zu sein. Zum ersten sind die ja nur auf dem Thron gelandet, weil ihre Herren Gemahle gestorben sind oder es keinen vor ihnen stehenden Bruder in der Erbfolge gab. Und zum zweiten gibt es regelbestätigende Ausnahmen doch in den allermeisten Systemen. Um die Strukturen geht es, nicht so sehr um die Figuren.

        Dass Männer andererseits arme Würstchen sind, die hysterisch rumlallen und auch sonst nicht viel hermachen – ja, mei, nichts Neues unter der Sonne. Das ist ja das Tolle an ihren Privilegien: Meritokratie geht anders.

        Das radiöse Hörspielangebot ist ein großes Pfund, ja. Soooo skeptisch bin ich auch gar nicht, was das Fortleben dieser „großen Kulturtradition“ betrifft. Ich jedenfalls zahle meine Rundfunkgebühren im Großen und Ganzen sehr gerne.

        Gruß, d.

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      2. Diander Autor

        …denken wir an Olga die Heilige, Sofia Alexejewna, Katharina I., Anna, Elisabeth und den Oberknaller Katharina II die Große.

        Ach Olga, ach Heilige. Beim Nachlesen (ich kannte die Dame bis dato nicht, huch) erfährt man, dass sie für ihren Sohn die Regentschaft übernehmen durfte, weil der Lütte bei weitem zu infantil war. Voll knorke, das. Und Katharina die Große wurde von der Sippschaft mit dem wiederum infantilen Monarchen verheiratet (sach ich doch), bei nachsichtigem Betrachten (wenn man die Zarenschaft als gegeben akzeptiert, in Nachgang eh nicht zu ändern) rettete sie das, was noch zu retten war.
        Ich schließe mich also umgekehrt wieder doimlinque an, sie kamen nur zu Ruhm und Würden, weil die in Frage stehenden Männer/Buben ein Komplettausfall waren. Aber aus eigener Kraft, qua Ausbildung, langjähriger Berufstätigkeit, Meriten war seltenst was zu wuppen. Dito, was die Penunzen angeht.

        Aber schön, dass die Frauenfiguren Dich doch so sehr beeindrucken, recht so! Das steht ihnen postum zu.

        Polina als Mündel?

        Da war ich ein vielleicht ein wenig unpräzise, bestimmt hast Du mit „Stieftochter“ eher recht. Aber so wahnsinnig weit weg von „Mündel“ ist es auch wieder nicht, oder?!

        Liebe Grüße, Diander

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      3. Rüdiger Grothues

        „Um die Strukturen geht es, nicht so sehr um die Figuren.“
        Unbedingt.
        Also empfiehlt sich, die ökonomischen Strukturen im zaristischen Russland anzuschauen, und wer da so auf den Landgütern malochte, und schnell sind wir bei der: Leibeigenschaft.
        Diese wurde ein paar Jahre vor Entstehen des „Spieler“ durch Zar Alex Zwo abgeschafft.
        Über die Leibeigenen konnte die Gutsherr*in umfassend verfügen, zum Beispiel sogar darüber befinden, ob und wen sie heirateten (und neue Leibeigene schufen). Da verläuft die ökonomische Demarkationslinie nicht primär am Geschlecht entlang.
        Turgenjew, der angeblich als erster Schriftsteller die Bauern als eigene Charaktere in die Literatur einführte (was höchstens für Russland stimmen könnte) und der Sohn einer unbarmherzigen Leibeigenen-, also Seelenbesitzerin war, meinte, das Leibeigenensystem erniedrige nicht nur die Bauern, sondern auch die Gutsbesitzer_innen selbst.
        „Mit welchem Recht durften Adlige über die Bauern verfügen, wenn sie selbst dem Zaren keinen Staatsdienst leisteten? Die russische Literatur ist voller „überflüssiger Menschen“ – Aristokraten, die diesen Widerspruch fühlen. Sie messen ihren Reichtum in „Seelen“ – so hießen die in Steuerlisten erfassten Bauern -, sie verpfänden sie oder verzocken sie am Spieltisch, um den eigenen Ennui zu betäuben.“ (Quelle: http://www.berliner-zeitung.de/14639500 ©2017; Christian Esch)
        Viele Grüße von
        Rüdiger

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        1. doimlinque

          Ich glaube, ich verstehe die Stoßrichtung des Kommentars nicht so recht.

          Dass unter der Leibeigenschaft große Teile der russischen Bevölkerung – Männlein wie Weiblein – geknechtet wurden, steht doch völlig außer Frage. Auch Männer können Aua haben, so what?!? Man kann sehr gut zugleich Geknechteter und Knechter sein.

          Es stimmt zum Beispiel, dass die in Steuerlisten erfassten Bauern als „Seelen“ bezeichnet wurden. Es geht hier aber nota bene um die männlichen Bauern. Frauen sind noch nicht einmal so einen Listenplatz wert – weniger als eine Seele, wenn man so will. Sie sind in dieser Zeit vor allem gut als Unterpfand beim Brautgeldgeschacher. Und auch wenn das ius primae noctis vermutlich eher Legende ist, gibt es doch viele Belege dafür, dass Leibeigene dem Schollenbesitzer das Recht auf Heirat und damit die oh so tolle Hochzeitsnacht abkaufen musste. Die Leibeigenen wurden wie Waren gehandelt, was sie nicht daran hinderte, ihrerseits Frauen als Ware zu behandeln. (Es gibt eben mehrere ökonomische Demarkationslinien, von denen eine aber sowas von am Geschlecht entlang verläuft, denke ich.)

          Überhaupt, die Sexualität. In kaum einem Land war die christlich-körperfeindliche Sexualmoral so allgegenwärtig, wie in Russland. Wobei auch da natürlich mit zweierlei Maß genommen wurde: Über den männlichen „Sünder“ wird womöglich die Nase gerümpft, Frauen werden zu Parias. (Anna Karenina comes to mind oder auch Anna Sergejewna aus der „Dame mit dem Hündchen“.) Von Männern, die lebenslang ins Kloster geschickt wurden, ist jedenfalls nichts überliefert.
          Die Kirche bekämpft auch insgesamt jede Form von Gleichstellung zwischen Mann und Frau mit dem allbekannten Hinweis auf die natürliche Rolle der Frau als Muttertier.

          Nicht, dass der Staat viel besser wäre. Gerade neulich erst ging es wieder durch die (Lügen)presse: Russland kennt keine richtige Gesetzgebung bezüglich häuslicher Gewalt. Das ist heute so und in früheren Jahrhunderten nicht anders gewesen.

          Turgenjews Mudda, aha. Die war eben die letzten 16 Jahre ihres Lebens Witwe! Ansonsten hätte nicht sie, sondern Turgenjew Sr. das Zepter geschwungen. Und nur weil insgesamt Frauen benachteiligt werden, ist nicht jede Frau umgekehrt ein Engel; an anderer Stelle hatte ich hier Element of Crime zitiert.

          Wie gesagt, ich weiß nicht so recht, worüber wir uns so kabbeln, weil ich keinen Widerspruch sehe zwischen der Feststellung, dass die Leibeigenschaft ausnahmslos alle Bauern benachteiligte und gleichzeitig aber Frauen noch einmal gesondert benachteiligt wurden.

          Gruß, d.

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        2. Diander Autor

          … und schnell sind wir bei der: Leibeigenschaft…

          Turgenjew habe ich bis dato nicht gelesen (shame on me). Das finde ich aber im übrigen – ein wenig den Tellerrand auf andere Werke Dostojewskis verlassend – bei Dostojewski schon auch sehr bemerkenswert, dass die Hauptrollen nicht nur die alte Garde der Fürstinnen und Fürsten von Dingjonowitsch und Kladderadawowitsch beschränkt sind. Besonders wenn ich an „Schuld und Sühne“ denke (oder auch an die „Brüder Karamasow“), dann tummeln sich da doch etliche TypInnen aus ganz unterschiedlichen sozialen Schichten. Ich denke dabei z.B. an Sofja aus „Schuld und Sühne“, deren Prostitution ganz unumwunden thematisiert wird, an die alte Wuchererin, simple Handwerker, verarmte Alkoholiker, arme Schlucker an Studenten, Geisteskranke usw.
          Ist das Kabbelei? Ach, eigentlich doch eher freundschaftliche, ergänzende Diskussion, n’est-ce-pas?
          Grüßle, Diander

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          1. doimlinque

            Ist das Kabbelei?

            Nein, natürlich nicht. Das ist Krieg! Mit den Mitteln des 21. Jahrhunderts. Wer sagt mir zum Beispiel, dass Du nicht so ein dahergelaufener SocialBot bist, programmiert von Wladimir Wladimirowitsch persönlich zum Verbreiten möglichst subtiler russophiler Propaganda? So wie Du hier die Apologetin des anständigen, russischen Volkes raushängen lässt, ist das schon sehr fadenscheinig. Freundschaftliche, ergänzende Diskussion – Du meinst wohl, ich wäre von gestern…

            Gruß, d.

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            1. Diander Autor

              Wer sagt mir zum Beispiel, dass Du nicht so ein dahergelaufener SocialBot bist, programmiert von Wladimir Wladimirowitsch persönlich zum Verbreiten möglichst subtiler russophiler Propaganda?
              Keinereinernicht. Diese Bots werden ja bekanntlich immer fieser und intelligenter. Mittlerweile soll es sie schon mit ergrauendem Haupthaar und weinsüffelnd geben, täuschend echt. Die allerfiesesten davon soll es übrigens in den Niederlanden geben. Getarnt in Schlaghosen.

              Wat zullen we drinken, lalalalalaaah!

              Grüßle, Diander

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                  1. doimlinque

                    …werd ’ne Mauer bauen, um mir Dich und Deinesgleichen in Zuknuft vom Leib zu halten. Du zahlst.

                    Gruß, d.

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    4. Rüdiger Grothues

      Das Hörspiel hat mir gut gefallen, große alte Namen versprachen ja schon große Stimmen (Reincke, Paetsch, Ehre et al) und deshalb ein großes Vergnügen, wie von euch angekündigt.
      Auch die Verdichtung des Romans auf die knapp achtzig Minuten, immer eine knifflige Angelegenheit, fand ich gelungen (einziger Kritikpunkt, s.o., die Schlussszene betreffend: die Aussparung, dass Astley von Polina geschickt worden war).
      Das Ganze will ich auch als Anregung wahrnehmen, die Hörspielangebote im öffentlich-rechtlichen Radio mal wieder in´s Auge zu fassen, solange es sie noch gibt… eine große Kulturtradition und letztlich auch andere Art der Konzentrationsübung.

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