Verwelktes Glück

Frankreich in den Jahren der Julimonarchie Louis-Philippes I. nach 1830. Dem nicht unsympathischen, wohl aber unbedarft tumben Provinzarzt Charles Bovary passt es gut in den Kram, dass ihm die unter kräftiger Vermittlung seiner Frau Mama zugeschanzte unnahbare erste Ehefrau unter den Fingern wegstirbt: Endlich kann er dem heftigen Werben der jungen Klosterschülerin Emma, die in ihm einen Helden aus einem ihrer Liebesromane zu erkennen meint, nachgeben und das Glück der bürgerlichen Zweisamkeit am eigenen Leib erfahren. Oder so ähnlich. Was sich im Folgenden entspinnt, ist die klassische Erzählung über jenes Hinterher, das einem Damoklesschwert gleich über jedem happily-ever-after dräut.

Während Charles sich tatsächlich zufrieden wähnt im sicheren Hafen der Ehe, erweist sich diese für Emma schnell als bedrückende Mischung aus Enttäuschung, Langeweile und philisterhafter Moralinsäure. Wie viel aufregender waren doch die romantischen Episoden in den Büchern der Klosterbibliothek! Das gemeinsame Töchterchen kann ihr keine Ablenkung sein, einziger Hoffnungsschimmer ist die Flucht in die Arme eines anderen. Beim gefühligen Studenten Léon Dupuis zögert sie zunächst noch ein wenig zu lange, dafür ist sie einige Zeit später dem forsch auftretenden Gutsbesitzer Rodolphe Boulanger in Nullkommanix hörig, nur um nach einigem Hin und Her dann doch wieder Dupuis ihr Herz zu Füßen zu legen. In einer weiteren Volte ihres Eskapismus erliegt sie obendrein zunehmend den Verlockungen der schönen neuen Warenwelt und plündert die Familienkasse, indem sie sich beim skrupellosen Tuchhändler Lheureux bis über beide Ohren verschuldet.

Die Dinge nehmen ihren absehbar tragischen Verlauf: Als es hart auf hart kommt, lassen ihre Liebhaber Emma fallen wie ein Glas schalen normannischen Apfelweins und zieht sich die Schlinge ihrer Schuldner stets heftiger um ihren hübschen Hals. Die rasend Verzweifelte weiß sich keinen anderen Rat, als einen kräftigen Schluck aus den Giftampullen des Oberbourgeoisen Apothekers Homais zu nehmen. Sie verscheidet tränenreich in den Armen des aus allen Träumen gerissenen Charles, welcher kurz darauf ebenfalls an gebrochenem Herzen dahinscheidet. Tochter Berthe geht fortan am Bettelstab durchs Leben und muss die Knochenarbeit in einer Baumwollspinnerei antreten.

Die Weinbeeren finden sich zu gleichen Teilen tief bewegt und verstört wieder und nehmen im Wesentlichen drei Erkenntnisse, die sie wohlverschnürt in ihren Lebenswanderrucksäcken verstauen, aus der Lektüre mit. Auf dass die Flaubert‘sche Klarsicht auf das große Räderwerk des menschlichen Tuns ein Licht der Weisheit in dunklen Zeiten sein möge.

1. Romane sind Vehikel des Bösen, die jungen Mädchen nur Flausen in den Kopf setzen und von denen man tunlichst die Finger lassen sollte.

2. Typen, die „Rodolphe“ heißen, kann man sowieso nicht ernst nehmen und basta.

3. Frauen sind Vehikel des Bösen, die außer Unglück nichts in die Ehe mit einzubringen haben und von denen man tunlichst die Finger lassen sollte.

3a. Wahre Liebe gibt es eigentlich nur zwischen Männern und ihren Haustieren.

3b. Arsen ist unangenehmer als Alkohol, dem die Weinbeeren heute Abend frönen.

 

doimlinque: Santé! Und? Geschockt?

Diander: Santé. Janein, die Geschichte der Bovary ist ja nun nicht ganz unbekannt, und die Liste der unglücklichen Frauen eine lange. Ich habe die Bovary – glaub ich – schon mal während der Schulzeit, Französisch–Leistungskurs gelesen. Ist aber nun einige Monde her. Jedenfalls habe ich diese Gelegenheit genützt, mir eine komplett neue Ausgabe zu organisieren, eine Neuübersetzung von Elisabeth Edl, die irgendwo vielgerühmt wurde.

doimlinque: Ehrlich gesagt, glaube ich, spielen die großen Verlage da einfach über Bande mit den großen Feuilletonredaktionen und lassen alle Jubeljahre mal wieder eine neue Übersetzung, nun ja, bejubeln. Sei’s drum. Meine Ausgabe ist ein unscheinbares Überbleibsel aus einem verregneten Bretagne-Urlaub. Entsprechend französisch kommt es daher – ich habe ungefähr 200 Seiten gebraucht, um festzustellen, dass die Protagonistin kein transsexueller Säbelzahntiger mit Drogenproblem ist. Dann war ich aber wieder eingegroovt in meinem Schulfranzösisch und kann jetzt ganz toll mitreden.

Diander: Chapeau, das wäre mir zu anstrengend gewesen, mein Fronsösich ist doch leicht eingerostet. Um noch mal auf die Neuübersetzung zu kommen: egal, wie die Feuilletons jetzt dafür honoriert werden, die Übersetzung scheint mir sehr gelungen. Jedenfalls ist die Ausgabe gespickt mit Bonusmaterial, unter anderem Anmerkungen der Übersetzerin, warum sie welche Passagen wie vollkommen neu definiert, gesehen hat. Und das lässt sehr viel Sprachgewalt und Verstehen von Flaubert erkennen. Zusätzlich sind umfangreiche Fußnoten/Erläuterungen enthalten, die einen Einblick hinter die Kulissen gewähren. Ich habe die echt nicht alle gelesen, weil das natürlich den Lesefluss immer wieder unterbricht, aber ein Beispiel will ich geben: Das Zigarrenetui lässt Interpretationen zu, ist es nun in grüne Seide gefasst a la Bordüre oder ist es auf der Oberseite aus Seide. An solchen Details hat sie sich in die Entwürfe begeben und festgestellt, dass „tout brodé de soie verte“ dem Original entspricht und dementsprechend wurde neu formuliert. Das scheint mir der Akribie des Monsieur Flaubert schon sehr angemessen, diese accuratesse.

doimlinque: Ah. Hätten wir diese Zigarrenetuisache also auch klären können, schön.

Diander: Möööh. Gibt vielleicht wichtigere Fußnoten, aber bezeichnend isses.

doimlinque: Zweifellos. Ganze Nächte habe ich wach gelegen und gerade dieses Zigarrendings immer in Gedanken rumgewälzt. Man kann unterm Strich nur hoffen, dass die Übersetzerin den Wald vor lauter Bäumen nicht aus dem Blick verloren hat. Prinzipiell finde ich das aber tatsächlich auch sehr spannend zu sehen, wie man sich in die entsprechenden Vorlagen reinfuchsen kann und muss, um dem Original auf die Spur zu kommen. Gleichzeitig bin ich hin und hergerissen bei der Frage, wann es auch mal gut ist mit den Details. Und manchmal sind diese befußnoteten Texte nicht mehr wirklich schön zu lesen, finde ich. Deswegen war ich zum Beispiel froh, dass ich nach ein paar Seiten nicht mehr nach jedem zweiten Wort zum Wörterbuch greifen musste, weil ich dann sozusagen im Text angekommen war.

Diander: Vielleicht noch mal zur Klarstellung, direkte Fußnoten sind es nicht, sondern Anmerkungen zu kursiven Passagen, die Erläuterungen finden sich dann nur im Anhang. Es setzt also Vorsatz (und Blättern und Suchen) voraus, sich die Details zu geben – oder auch nicht. Wie gesagt, ich habe mir den Großteil verkniffen. Aber an der Seide bin ich hängen geblieben. Und noch an einem anderen kleinen Detail. Dass Emma über Lederstiefelchen Holzpantinen trägt. Nuja, was das Landleben halt so erforderlich macht.

 

Schuhfetischismus im 19. Jahrhundert. Wie mag nur das Lederstiefelchen in die Pantine passen?

 

doimlinque: An der Stelle hat Flaubert natürlich sehr schöne Farbtupfer gesetzt, die er aus seiner eigenen Lebenswelt zur Genüge gekannt haben wird. Und, um ein wenig die Kurve zur Emma zu kriegen, was sagt der akademische Textapparat denn eigentlich zu dem Bohei, dass unmittelbar nach der Veröffentlichung um den Roman gemacht wurde. Ich finde ja, dass die Scharfrichter, die dem Autoren Obszönitäten vorgeworfen haben, einerseits komplett daneben lagen (übermäßig obszön scheint mir das Buch dann doch nicht). Und zur gleichen Zeit waren sie aber eben doch offensichtlich feinsinnig genug, zu erkennen, dass Flaubert ein ziemlich explosives Kunstwerk in den bürgerlichen Sardinentümpel geworfen hat. Klare Kampfansage an Ordnung und Moral, würde ich sagen.

Diander: Auf den letzten Satz: Ja und nein, schließlich büßt Madame für ihre außerehelichen Eskapaden bitterlich, was eventuell damals lesenden Demoiselles eine Warnung gewesen sein könnte. Aber natürlich ist es für die Zeit schon ein recht offener Tabubruch gewesen, solche Dinge zu Papier zu bringen, wie Emma und Leon mit wehenden Kutschengardinen wild über Stock und Stein fuhren und sich jeder bigotte Amtsrichter ausmalen konnte, was hinter den Damastvorhängen vor sich ging.

doimlinque: Sie haben über die laufende Fußballsaison gefachsimpelt. Logisch.

Diander: Bien sûr. Ein weiteres: explosiv ja, weil es doch im Grunde, Fußballsaison hin, Techtelmechtel her, um ein ganz modernes, emanzipatorisches Ding geht: Muss eine Frau sich mit ihrer Lage, ihrem Stand, dem Stand ihrer Eltern abfinden , oder darf sie von einem Leben träumen, wie sie es will und versuchen, es umzusetzen: Sehnsüchte leben, statt ihren gottgegebenen Pflichten zu folgen. Das erscheint mir wesentlicher als der Moralkodex verblichener Amtsrichter und Staatsanwälte.

doimlinque: Das ist zu vermuten, ja. Und um die Frage wenigstens ein bisschen zu umkreisen, würde ich zunächst einmal sagen: Ja, klar darf eine Frau – oder sonstwer – versuchen, ihre Träumen nachzujagen. Und so gesehen ist das Buch auf verdeckte Weise eine Art Pamphlet für eine andere Rollenverteilung in der Ehe und hier und da. Am Ende wäre der Roman aber wohl nicht so stark, wenn da nicht noch viele andere Schichten dargestellt würden. Emma ist doch auch ein zwiespältiger Charakter und taugt nur ganz bedingt zum Vorbild für alle Barrikadenstreiterinnen. Einerseits ist sie genervt von den Einschränkungen ihres Ehelebens, andererseits sind diese Romantikklischees, die sie dem entgegensetzen will, auch ziemlich beschränkt. Und sie wirkt auf mich auch so wahnsinnig ich-bezogen, vor allem in den Passagen, wo sie ihre Tochter so vollkommen ignoriert. Ihre Lage ist blöd, geschenkt, aber sie selbst auch ein bisschen, kurz gesagt.

Diander: Kein Widerspruch, Euer Ehren. Andererseits, sie wurde von den damaligen Umständen, Erziehung auf einem kleinen Bauernhof, umgeben von kleinen Blümchen und Matsch auch zu dem, was sie dann im weiteren Verlauf konsequent weiter ist: ein kleines, romantisch verklärtes Naiverl, das es nicht besser weiß. Freilich keine Rosa Luxemburg, ein ganz normales menschliches Lieschen Müller oder Emma Rouault. Das wäre dann ein weiteres Explosivum, dem Adel wurden Eskapaden vielleicht noch zugestanden, aber einer kleinen Dorfarztgattin? Jamais!

doimlinque: Dem Adel sowieso, aber eben auch den Männern überhaupt, nicht wahr? Als ob sich ein Dupuis am Ende vor irgendwem rechtzufertigen hätte. Ja, man muss Emma bedauern, und gleichzeitig runzle ich doch immer die Stirn. Jedenfalls und ganz ironiefrei ist es bestimmt ganz schrecklich, wenn man seinen Platz in der Welt nicht so recht findet. Weil der zugewiesene Platz zu beengt ist, natürlich, aber auch weil sie in so einer Traumwelt lebt, die sich auch unter rosigsten Umständen nie für sie fügen würde.

Diander: Nicht umsonst steht sie deswegen irgendwie in einer Reihe mit den großen, tragischen Frauenfiguren wie Anna Karenina, der Effi, und vielen anderen. Ich kann das Stirnrunzeln nachvollziehen, weil sie schon ein Kreuzhascherl ist, vielleicht im Gegensatz zu den anderen genannten.

doimlinque: Irgendwie steht sie in der Reihe, zugegeben (die genannten kommen wahrscheinlich nicht umsonst später), aber von persönlicher Größe ist die Figur doch eigentlich ziemlich weit entfernt. Was, wie gesagt, der Wirkung des Romans in meinen Augen keinen Abbruch tut. Eher ist es so, dass Flaubert so gleichzeitig auch die ungünstigen (Euphemismus!) Strukturen hervorheben kann, die eben nicht nur den über Heroinnen die Flügel stutzen.

Diander: Naja, ich meinte ja auch erst mal in erster Linie die Ehebrecherinnenriege. Ist ja keine homogene Gruppe. Aber so im Vergleich eint sie, fällt mir gerade auf, dass sie alle von Männern beschrieben werden, und das teilweise gar nicht mal so abwertend, wie das der Zeitgeist erwarten ließe, sondern doch auch mit einer Portion Mitgefühl. Oder so. Ist ja damals nicht direkt common sense gewesen.

doimlinque: Das habe ich auch eben gedacht. Finde ich insgesamt ein interessantes Merkmal von vielen dieser großen Romane des 19. Jahrhunderts, die heute auch immer noch den Kanon der sogenannten Weltliteratur vollpfropfen: Dass sie mitunter ziemlich vernichtend in ihrer Kritik am Bürgertum daherkommen, einschließlich der Rollenverteilung der Geschlechter, obwohl sie doch in der Regel von ziemlich bürgerlichen Schreiberlingen geschrieben und in ziemlich bürgerlichen Verlagen erschienen sind und einem ziemlich bürgerlichen Publikum zur Unterhaltung gedient haben.

Diander: Und keine ziemliche Unterhaltung, wie ja die Staatsanwaltschaft versuchte klarzumachen. Habe ich vorher übrigens vergessen zu erwähnen: in meiner neuen Ausgabe sind neben dem Roman auch die Plädoyers der Anklage, der Verteidigung plus das Urteil enthalten. Welches übrigens einen Freispruch zweiter Klasse beinhaltete, aus Mangel an Beweisen für den Vorsatz zur Anleitung zum Ehebruch. Oder so.

doimlinque: Was den Absatzzahlen nicht geschadet haben dürfte. Außerdem büßt sie ja bitterlich, wenn ich Dich zitieren darf. Das bringt mich übrigens auf eine Sache, die mich an vielen Romanen des Realismus ein wenig stört, nämlich diese poetische Gerechtigkeit, die da herrschen muss. Sünder dürfen nicht ungeschoren davonkommen, am besten müssen sie am Ende des Buchs dahinscheiden. Am lustigsten ist es, wenn sie an gebrochenem Herzen verenden – das nennt sich dann „realistisch“. Überhaupt, diese Obsession mit den diversen Symbolen, die sich auch bei Flaubert durch den Text ziehen und gegen die ich prinzipiell überhaupt nichts habe, die ich aber schon immer für ziemlich aufgesetzt gehalten habe. Es ist ein bisschen ein uneingestandenes Erbe der Romantik, scheint mir fast.

Diander: Hach, wie süß, er wünscht sich ein happily ever after, wa?

doimlinque: Ja und nein, würde ich sagen. Wenn es sich aus der Romankonstellation ergibt, darf man hinterher auch glücklich sein. Es ging mir eher darum, dass es da im Hintergrund so einen festgefügten Rahmen gibt, den die Figuren nicht verlassen dürfen, weil der Autor sonst gezwungen zu sein scheint, sie abzumurksen. Verstehst Du? Am Ende ist Flaubert hier doch genau so ein Moralist, wie die Staatsanwälte. Darf er auch sein, von mir aus, es scheint mir nur nicht unbedingt ober“realistisch“ zu sein. Oder so, um Dich noch einmal zu zitieren.

Diander: Ach, das würde ich Flaubert nicht vorwerfen wollen, ein Obermoralist zu sein. Vielmehr denke ich, dass er einfach beschreibt, was dereinst oft in solchen Fällen passierte, und das war nun einmal gerade für Frauen eine derartig ausweglose Situation, aus der sie sich nicht mehr befreien konnten. Und damit blieb nur entweder der Freitod, Tod aus Langeweile oder gar gebrochenem Herzen. Was übrigens mittlerweile medizinisch durchaus als plausibel angesehen wird, kein Taschenspielertrick oder übertriebene Melodramatik, seufzendes Dahinsiechen. Und noch nebenbei, der Auslöser oder Inspiration für die Madame war ja anscheinend ein Artikel über eine real existierende Madame, der ähnliches widerfuhr. Das Leben war und ist gar nie kein Ponyhof.

Moralist oder Nichtmoralist, das ist hier die Frage…

doimlinque: Da wiederum gebe ich Dir Recht. Was sagst Du übrigens zu dem an Kummer sterbenden Charles? Ein Despot im Bademantel ist er wohl nicht, gell? Eher wie Emma ein unbedarftes Produkt der Umstände, nur von der anderen Seite der Medaille. Trotzdem habe ich den Eindruck, dass er Flauberts Sympathie hatte, zumindest ein klein wenig und mehr noch als Emma.

Diander: Beim ersten Teil bin ich Deiner Meinung, es gibt schlimmere, despotischere Herren in der Literaturgeschichte. Im Grunde ist er tatsächlich ein unglücklich Liebender, dem allein deswegen die Herzen ein klein wenig zufliegen. Aber trotzdem finde ich, dass Emma – schon allein aus der Tatsache, dass sie als Hauptfigur gewählt wurde -, etwas mehr die heimliche Favoritin Flauberts zu sein scheint, in ihrer himmelhochjauchzenden Sehnsucht nach Liebe, Leidenschaft und Gedöns. Das fand ich das eigentlich Bemerkenswerte, dass sie wenig wertend gemalt ist, sondern in der Entwicklung einfach logisch sich und ihre Liebschaften entwickelnd. Mir scheint, Flaubert hatte –um mich selbst zu zitieren – da doch eine gehörige Portion Mitgefühl und Einfühlungsvermögen, vielleicht gar Sympathie.

doimlinque: Wobei ich das Himmelhochjauchzende schon auch als ziemlich naiv und manchmal beinahe peinlich dargestellt gefunden habe. Während ich bei Charles wiederum den offensichtlichen Mangel an Menschenkenntnis und Einfühlungsvermögen – immerhin ist er Arzt – bemerkenswert finde. Well, sie treffen sich doch irgendwie in der Mitte, die beiden.

Diander: Wir sollten nicht vergessen, dass Emma wahrscheinlich zum Zeitpunkt ihrer Heirat, wie damals üblich, ein pubertäres Gör von vielleicht 18 Jahren gewesen sein mag. Und denen ist das Himmelhochjauchzende (sagt das altersmilde Muttertier) durchaus zuzugestehen. Apropos Alter und Jahre, irgendwie war ich manchmal mit den Zeitabläufen etwas irritiert, mal waren sie frisch verheiratet, dann wieder irgendwie schon 4 oder wieviel Jahre. Mit der Genauigkeit in der Abfolge hat der gute Flaubert es nicht so, deucht mir. Aber macht nix, ist ja auch nicht so relevant.

doimlinque: Ich halte das im Gegenteil für ziemlich relevant, würde aber denken, dass der gute Flaubert (Freunde durften ihn Flaubi nennen), einfach ein Meister der Raffung war. Mir ist das allerdings auch aufgefallen, dass da mitunter das ein oder andere Jährchen ziemlich schnell rum war. Hat sich besonders auch bei der Tochter gezeigt, die ohnehin immer nur ganz am Rande auftritt und nachgerade famose Wachstumsschübe durchlaufen hat.

Diander: Landluft halt…

doimlinque: Dazu noch Champagner und französischer Stinkekäse, hmmm. Ja, nee, was wollte ich sagen…? Ich denke, dass Flaubert zum einen das Eheleben in angemessen epischer Breite darstellen und zum anderen mit einiger Wucht bestimmte Episoden ausleuchten wollte. Da musste er sich halt hin und wieder die Zeitmaschine schnappen.

Diander: Vielleicht. Trotzdem ist bei all der sonst vorhandenen Präzision eigentümlich. Ich habe übrigens neulich spätnächtlich die Neuverfilmung mit Mia Wasikowska gesehen, heimlich auf dem Netflixaccounts meines Juniors.

doimlinque: Mia Dahinschmelzikowska!

Diander: Jaha, genau die. Aber während ich sie in Jane Eyre wirklich grandios fand – trotz beschissener Frisur à la mode – schien sie mir hier nicht so großartig. Der ganze Film ist zwar durchaus einmal sehenswert, allein schon prinzipiell, um montags im Büro mitschwafeln zu können. Aber er hat, das fiel mir sofort auf, etliche drehbüchliche Anleihen bei der Jane Eyre-Verfilmung genommen. Wie dort sieht man die fliehende Mia, um dann erst in der Rückblende zu erfahren, warum sie das Weite sucht. Janz schön geklaut, finde ich. Trotzdem: einmal angucken ist ok. Allein schon wegen eines spektakulären Auftritts bei dem ersten Lover, im Buch der Großgrundbesitzende Rodolphe, im Film ist es ein frauenvernaschender Adliger (geschenkt, aber warum?). Wenn ich mir die Schlussszene im Buch vors geistige Auge rufe, und die in der Verfilmung mit der Huppert, dann ist die Szene im neuen Film eine Verhöhnung Flauberts. Sie sinkt sterbend und schmachtend im Wald zusammen und gut isses. Nö. Geht gar nicht.

doimlinque: Glaube ich nach Begutachtung des Trailers sofort, dass man sich eher an den Chabrol halten sollte. Mia hin oder her.

 

Und an der Stelle zogen sich die Weinbeeren mit ihren Getränken aus dem öffentlichen Diskurs zurück und lästerten und lobten im Geheimen die drögen Männer, die unglücklichen Frauen, bösen Schwiegermütter, sprachliche Finessen und die unterschiedlichen Verfilmungen weiter. Auf Wunsch werden Einzelheiten natürlich auch gerne coram publico weitergesponnen.

Der guten Ordnung, Priorisierung und Vollständigkeit halber sei hier natürlich erst einmal die Textausgabe verlinkt, auf deutsch , französisch oder gar englisch. Plus eine Zeit-Lobhudelei der erwähnten Neuübersetzung von Elisabeth Edl.

Wer an den Verfilmungen interessiert ist, kann die erwähnten Filme per Trailer begutachten, einmal von Chabrol und dann mit der Dahinschmelzikowska. Bei der Gelegenheit entdeckte Diander eine weitere Fassung mit Francesca Annis in einer vierteiligen britischen Miniserie, die vielleicht demnächst des nächtens, wenn alle anderen schlafen, im Dianderschen Wohnzimmer zur Vorführung gelangt.

 

doimlinque und Diander

18 Gedanken zu „Verwelktes Glück

  1. justrecently

    Nun ja. Doof wie im richtigen Leben, und fertig ist der Stoff, aus den die Romane sind. Natürlich beginnt damit erst die Arbeit – des Schreibens und des Lesens.
    Vielleicht wage ich mich ja irgendwann mal an dieses merkwürdige Werk.
    (N. B.: Tochter am Bettelstab zurücklassen – sympathisch ist da nicht das Wort der Wahl.)

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    1. Diander Autor

      Nun ja. Doof wie im richtigen Leben, und fertig ist der Stoff, aus dem die Romane sind.
      Realismus eben, ja. Die Kunst Flauberts besteht, daraus ein sprachliches und mitnehmendes Meisterwerk zu schaffen.

      Vielleicht wage ich mich ja irgendwann mal an dieses merkwürdige Werk.
      Ich tätert es wärmstens empfehlen.

      Tochter am Bettelstab zurücklassen – sympathisch ist da nicht das Wort der Wahl
      Ach, da wär ich jetzt etwas milder, in einer solchen Ausnahmesituation ist es wohl – küchenpsychologisch betrachtet – schwer, alles unter Kontrolle zu behalten, siehe „gebrochenes Herz“. Ich habe mal einen ähnlichen Fall im näheren Umfeld erlebt, wo auch ein hinterbliebenes Kind schwer gelitten hat, ohne dass die Eltern 100 pro fähig waren, mit ihrem eigenen Schmerz den des Kindes zusätzlich aufzufangen. Da ist eher das Umfeld gefragt, bei den Bovarys wären da schon einige KandidatInnen. Der Apotheker Homais z.B., den wir noch gar nicht näher erwähnt haben, einen sogenannten Freund der Familie, Arsendealer, der aber auch nur ein schlapper Opportunist ist. Mit ihm endet übrigens die Geschichte, der schnöde Satz lautet „Seit kurzem hat er das Kreuz der Ehrenlegion“.

      Grüßle, Diander

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    2. doimlinque

      …um mich da noch mal einzuklinken: Emmas seelischen Ausnahmezustand hat Di schon ausgeführt. Ich finde es in diesen Fällen auch ganz schwer, ein Urteil zu fällen. Eher und eindeutiger würde ich ihr vorwerfen, dass sie vorher schon keine Andacht für ihr Kind übrig hatte. Weil es eine Tochter ist und kein Sohn, gibt sie Berthe mehr oder weniger für verloren, da sie an sich selbst erfährt, wie wenig Spielraum die Gesellschaft Frauen einräumt. Und verhält sich so wiederum ziemlich grausam.
      Und Charles stirbt zudem tatsächlich an gebrochenem Herzen (Dr. Di bestätigt, dass die moderne Medizin von Fällen wie diesem überrollt wird…), dem kann man also nicht wirklich einen Vorwurf machen.

      Merkwürdig im Sinne von denkwürdig, außergewöhnlich etc. würde ich sofort gelten lassen. Es ist nicht mein Lieblingsbuch und vielleicht ist es auch nicht ganz so grandiotastisch, wie alle Best-of-Listen suggerieren, aber sehr, sehr gut und epochemachend ist es schon.

      Gruß, d.

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  2. doimlinque

    Worüber wir noch nicht genug geredet haben ist der Anbruch des neuen, bürgerlichen Zeitalters, dessen Auswirkungen Flaubert in ganz zwiespältiger Weise beschreibt.

    Die feudale Welt mit ihrer auf die Krone zugeschnittenen sozialen Pyramide und den von der Kirche vorgegebenen Werten geht unter. Neue Götter sind die positivistische Wissenschaft und der Dampframmenkapitalismus. Von denen man als junge Klosterschülerin allerdings auch nicht glücklich wird, wenn sich der Vorhang hebt. Und die beiden „Gewinner“ des Romans, Homais und Lheureux, werden als ziemliche Kotzbrocken geschildert.
    Gleichzeitig, das macht Flaubert klar, ist die alte Welt des Landadels ebenso hohl und ist im Schoß der Kirche auch kein Heil für Emma zu finden.

    Verflixte Komplexität!

    Gruß, d.

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    1. Diander Autor

      Worüber wir noch nicht genug geredet haben…

      Ich setz es mal auf die Liste, die wird immer länger…

      Nein, Späßle, Du hast natürlich vollkommen recht. Den Apotheker habe ich ja oben schon kritisiert, dieses opportunistische Männlein, den halsabschneiderischen Lheureux auch in einen Sack dazu. Und der Herr Pfarrer, na ja. Was mir aber eben auffällt: Findest Du nicht auch, dass diese Stände-Prototypen sehr ähnlich denen bei Fontanes Birnbaum sind? Der Lheureux und der handlungsreisende Schuldeneintreiber, der Pfarrer hier ähnelt dem Pastor Eccelius bei Fontane, und an sonstigem Dorfpersonal nach Art von Homais fehlt es in der Mark Brandenburg auch nicht. Was ja bei zwei waschechten Realo-Schreiberlingen kein so großes Wunder ist, aber vor allem eint sie auch die Haltung, kaum verhohlene Gesellschafts- und Systemkritik. Findste nich?

      Grüßle, Di

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      1. doimlinque

        Verschwommen sagt mir der Name Fontane etwas, aber den Birnbaum habe ich nie gelesen und erinnere mich nur, einmal diesbezüglich in eine vollkommen sinnlose Diskussion verstrickt worden zu sein. Vertane Lebenszeit, sage ich Dir…

        Die Parallelen sind auf jeden Fall da, ja. Unter ganz verschiedenen Voraussetzungen und Personenkonstellationen werden hier in einzelnen Figuren bildhaft einzelne gesellschaftliche Strömungen oder sogar Ideologien vorgeführt. (Manchmal empfinde ich das als ziemliches Zerrbild der Realität. Wenn z.B. Homais und der Pfaffe sich irgendwelche Phrasen an den Kopf werfen, hat man eher das Gefühl, ein Pamphlet zu lesen als einen Roman. Und Lheureux als Raffke scheint mir auch etwas larger than life.)

        Gesellschaftskritik in jedem Fall, das hatte ich oben anschneiden wollen mit meinen bürgerlichen Schreiberlingen, die über das Bürgertum herziehen, welches wiederum gemütlich in die Sitzecke gekuschelt die neuesten Romanverwicklungen über sich selbst liest.
        Noch radikaler und mitunter wirklich systemkritisch wird es denke ich erst im Naturalismus, der eher auf die geknechteten Massen schielt und nicht vom Individuum ausgeht. Grob gesagt.

        Krasse Zeit, dieses 19. Jahrhundert, weil es auch eigentlich immer noch in vielen Dingen so prägend für heutige Gesellschaften ist.

        Gruß, d.

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        1. Diander Autor

          Unter ganz verschiedenen Voraussetzungen und Personenkonstellationen werden hier in einzelnen Figuren bildhaft einzelne gesellschaftliche Strömungen oder sogar Ideologien vorgeführt.

          Bildhaft, ja, das meinte ich auch mit Prototypen. Andererseits war natürlich das gesellschaftliche Umfeld ein anderes als heute, der Herr Pfarrer z.B. war ein präsenteres Gesicht in der dörflichen Gemeinschaft als heute (keine Ahnung, welcher Pfaffe welcher Konfession heute für mein Stadtviertel zuständig ist), es gab 1 (in Worten: einen) Apotheker im Umfeld, wahlweise ersetzbar im Kontext mit Bäcker, Bürovorsteher, wer halt in so einem Kaff alles gebraucht wurde (Apotheker war hier wohl praktischer für die Dramaturgie, als Arsenlieferant). Und daher stehen sie einerseits für ihre jeweilige Rolle, sind aber in dem natürlichen Lebensraum auch nicht außergewöhnlich.

          Bei den „bürgerlichen Schreiberlingen“ wäre ich etwas nachsichtiger (uäääh, werde ich etwa schon altersmilde?): Gesellschaftskritik auch aus den eigenen Reihen ist doch gar nicht so verkehrt? Zumindest vielleicht wirksamer als eine Protestnote eines geknechteten Stallburschen. Wenn sie denn als solche verstanden wird und Wirkung entfaltet, warum nicht. Nicht jede/r eignet sich als aufständischer Arbeitervertreter/in à la 1848. Ich selber jedoch hätte sicherlich damals, statt zu schreiben, mit wehenden Fahnen den Aufstand geprobt und wäre auf den Straßen vom Bajonett getroffen worden, jede Wette, statt wie heute gepflegt mal auf einer Demo ein Schildchen hochzuhalten oder gemütlich vom Fauteuil aus Klassiker zu diskutieren. Oder auch nicht. Vielleicht hätte ich auch nur versucht, die Münder meiner Bälger zu stopfen und anderer Leute Wäsche gewaschen, wer weiß.

          Grüßle, Di

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          1. doimlinque

            Mit wehenden Fahnen wie die Madame auf dem berühmten Gemälde von Delacroix, meinst Du? Die hätte sich auch mal was Gescheites anziehen können, sage ich.

            Aber wieso denn eigentlich nachsichtiger? Ich habe das ja lediglich festgestellt, dass sich da die Bourgeoisie selbst die Bälle zuspielt. Das ist, wenigstens in den westlichen Gesellschaften, seit dem Fall des ancien régime nie anders gewesen und bei Licht betrachtet hat sich bis heute wenig verändert. (Wenngleich man vielleicht noch mal näher einkreisen muss, dass wir eher vom Groß- als vom Kleinbürgertum reden. Auch so eine Emma wohnt ja immerhin in einem wohl ziemlich geräumigen Haus mit Bediensteter und kann sich eine Pflegemutter für ihre Tochter leisten.)
            Ob das nun gut oder schlecht ist, tja… Einerseits würde ich immer für Teilhabe möglichst aller plädieren wollen und also auch für Künste, die alle ansprechen und von denen sich alle angesprochen fühlen. Aber jenseits aller existierenden soziokulturellen Schranken und allem intellektuellen Dünkel und hier und da bin ich gleichzeitig nicht sicher, ob jede und jeder da überhaupt wirklich potenziell begeisterungsfähig wäre. Erst kommt das Fressen usw., dann die Literatur. Komplexe Chose.

            Gruß, d.

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            1. Diander Autor

              Mit wehenden Fahnen wie die Madame auf dem berühmten Gemälde von Delacroix, meinst Du? Die hätte sich auch mal was Gescheites anziehen können, sage ich.

              Wie jetzt, ich finde das Senfgelb ganz entzückend!

              Ich habe das ja lediglich festgestellt, dass sich da die Bourgeoisie selbst die Bälle zuspielt. Das ist, wenigstens in den westlichen Gesellschaften, seit dem Fall des ancien régime nie anders gewesen und bei Licht betrachtet hat sich bis heute wenig verändert.

              Nein, da hat sich wirklich wenig geändert. Ich meinte, aus Deinen Äußerungen herausgelesen zu haben, dass eine Kritik aus den eigenen Reihen nücht gültet. Aber das ist natürlich was anderes, als sich die Bälle zuzuspielen. Freilich hast Du mit dem Brecht Recht, erst kommt das Fressen, dann die Moral und die Kultur, so dass das Lesen solcher Bücher tatsächlich, vor allem vor der Zeit der Massenalphabetisierung, ein bürgerliches Vergnügen war. Die Begeisterungsfähigkeit wäre vielleicht da gewesen, wenn sie jemals die Zeit gehabt hätten, sich nicht nur vorrangig um die Mägen ihrer Bälger zu kümmern. Das Streben nach Bildung, Kultur ist ja auch ein Urbedürfnis, ein Schritt in Richtung Demokratisierung, Teilhabe, sozialer Fortschritt vorausgesetzt, gerade in dieser Zeit schon ein Thema. Was auch wiederum von gebildeteren Schichten gar nicht so gerne gesehen wurde, ein bisschen Kluft zum Machterhalt sollt schon sein…Ach ja, wirklich eine komplexe Chose.

              Ob die Bovarys jetzt Groß- oder Kleinbürgertum waren, schwer zu sagen, wo ist da die Grenze? Echt keine Ahnung, meine Vermutung wäre eine Dienstmagd = Kleinbürgertum, Großbürgertum = ab Butler und Haushälterin aufwärts.

              Nebenbei: Dass sich heute noch bestimmte Parteien als „bürgerlich“ bezeichnen, finde ich seltsam aus der Zeit gefallen, kriege ich regelmäßig Schnappatmung. Schließlich impliziert das, dass wer sie nicht wählt, nicht bürgerlich oder kein Bürger sei. So was von 19. Jahrhundert.

              Grüßle, Di

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              1. doimlinque

                In der Politik ist „bürgerlich“ ein Kampfbegriff, da hat sich seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nichts geändert, auch wenn nüchtern betrachtet und je nach Definition vermutlich der allergrößte Teil der Bevölkerung in dieses Lager fällt. Noch, die Mittelklasse schrumpft ja, heißt es.

                Ist toll, das Senfgelb, könnte man richtig Hunger von kriegen. Das ist übrigens eine weitere Sache, in der sich das 21. Jahrhundert an der Vergangenheit orientiert: Revolution scheint immer Frauen mit wenig Kleidern am Leib zu bedeuten.
                Dabei finde ich, denke ich gerade, Flauberts Roman doch recht prüde, was das Körperliche angeht. Jenseits der berühmten Kutschenszene, die ziemlich gut gemacht ist, wird Sex mehr oder weniger ausgespart. Obwohl das doch eigentlich eine wunderbare Möglichkeit wäre, die Misere der Ehe zwischen Emma und Charles noch ein wenig auszumalen. Es muss ja kein Porno werden, aber mit Sicherheit haben die beiden sich auch an der Stelle gehörig missverstanden und im Gefühlshaushalt ist das ein wichtiger Posten.

                Gruß, d.

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                1. Diander Autor

                  Ist toll, das Senfgelb, könnte man richtig Hunger von kriegen. Das ist übrigens eine weitere Sache, in der sich das 21. Jahrhundert an der Vergangenheit orientiert: Revolution scheint immer Frauen mit wenig Kleidern am Leib zu bedeuten.

                  Mir hat es anscheinend einen fetten Schnupfen eingebrockt, so dass ich heute auf senfgelben Pulli umgestiegen bin, Revolution und Femendemo fällt derzeit aus. Aber ja, natürlich ist der Mangel an Kleidung auffällig. Ein Erklärungsmuster für seinerzeit dürfte sein, dass Auftraggeber oder potenzielle Käufer der Gemälde eher Männer waren. Nun ist der Delacroix dafür kein Musterbeispiel, weil der teils auch die Männer nackich machte, aber die Ausnahme bestätigt ja oft die Regel. Die Femen beweisen, dass die Erregung der Aufmerksamkeit immer noch über Augen erfolgreicher ist als über zuhören. Insofern ist vielleicht die Gemeinsamkeit weniger die Revolution, mehr die (Medien-) Wirksamkeit.

                  Dabei finde ich, denke ich gerade, Flauberts Roman doch recht prüde, was das Körperliche angeht.

                  Wahrscheinlich sind generell die unprüden Zeilen aus dieser Ära (Marquis de Sade mal ausgenommen) gleich gar nie nicht in einer Druckerpresse oder weit darüber hinaus gelandet, andere Zeiten andere Sitten… Allerdings finde ich auch, dass es innerhalb dieser prüden Phase durchaus Spielräume waren. Wenn ich an Wuthering Heights denke, wird da zwar auch nicht direkt in medias res gegangen, aber der sexuelle, körperliche Subtext ist deutlich erkennbar. Nun könnte man ja für Flaubert argumentieren, dass es bei Emma eher um romantische Flausen und Motive geht, aber mit voller Überzeugung würde ich dafür nicht antreten wollen.

                  Grüßle, Di

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                  1. doimlinque

                    Mir hat es anscheinend einen fetten Schnupfen eingebrockt, so dass ich heute auf senfgelben Pulli umgestiegen bin, Revolution und Femendemo fällt derzeit aus.

                    Oh. Beterschap!, wie man hier sagt.

                    Insofern ist vielleicht die Gemeinsamkeit weniger die Revolution, mehr die (Medien-) Wirksamkeit.

                    Gute Zeiten für Geifergreise.

                    Nun könnte man ja für Flaubert argumentieren, dass es bei Emma eher um romantische Flausen und Motive geht, aber mit voller Überzeugung würde ich dafür nicht antreten wollen.

                    Also, ich würde eher sagen, es geht – neben anderem – darum, wie romantische Flausen und Motive auf die raue Wirklichkeit prallen. Und das wäre im Ehebett gut darstellbar gewesen, von mir aus auch nur in dezenten Andeutungen. Ist auf jeden Fall nicht das geringste Schlachtfeld im Kampf der Geschlechter. Ich finde jedenfalls, dass da eine Leerstelle bleibt.

                    Gruß, d.

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                    1. Diander Autor

                      Oh. Beterschap!, wie man hier sagt.

                      Oh, danke!, wie man hier sagt. Kommt davon, wenn schulterfreie, senfgelbe Kleider, der revolutionäre 1. Mai und kalte, feuchte Tage zusammentreffen. RevolutionärInnen von heute sind auch nicht mehr das, was sie waren.

                      …Ist auf jeden Fall nicht das geringste Schlachtfeld im Kampf der Geschlechter. Ich finde jedenfalls, dass da eine Leerstelle bleibt…

                      Yep, in der Summe kein Widerspruch. So sei es. Und zu Deiner Erbauung und als Beweis, dass es noch ungesagter geht, füge ich die Stelle der Verlobung aus Deinem Lieblingsbuch „Pride and Prejudice“ bei:

                      The happiness which this reply produced, was such as he had probably never felt before; and he expressed himself on the occasion as sensibly and as warmly as a man violently in love can be supposed to do.

                      Grüßle, Di

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              2. justrecently

                Bürgerlich lässt sich noch steigern: rechtstreue Bürger. Rechts-treu heißt, sich immer dann besonders aufzuregen, wenn Ausländer rechtswidrig handeln.
                Wenn hingegen ein Staats- und Parteibonze illegale Millionen von anonymen Spendern einsammelt und hinterher über die Quellen schweigt, nimmt man ihn nicht in Beugehaft, sondern bejammert Jahre später sein Hinscheiden, als wären wir immer noch Untertanen Karls des Großen.

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                1. doimlinque

                  Rechts-treu heißt, sich immer dann besonders aufzuregen, wenn Ausländer rechtswidrig handeln.

                  Ein Kampfbegriff, wie gesagt.

                  Gruß, d.

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  3. justrecently

    Um das für mich unübersichtliche „nesting“ meiner Kommentare zu vermeiden, hier statt dessen ein Bezugslink.
    Das Schöne am Roman: er ist ein Experiment, der schlimmstenfalls verrissen wird. Das muss ja nicht gleich zum Bettelstab führen. Und das hier vorliegende Werk ist ja als Experiment offenbar gelungen. Das ist das eine.
    Aber die Romantik aus dem Lesesaal ist eine andere Art Experiment. Kurzfassung: wird’s dem Esel zu wohl, geht er auf’s Eis. Hochbürgerlich: man kann sich gar nicht vorstellen, wie kalt das Wasser ist.

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    1. doimlinque

      Das Schöne am Roman: er ist ein Experiment, der schlimmstenfalls verrissen wird.

      Ja. Ja, naja. Im besten Fall sind Romane – ist Kunst – ein Experiment, wo es um alles oder nichts geht. Natürlich stehen bei der Reflexion über die Verfasstheit der Welt keine Menschenleben auf dem Spiel, aber gute Kunst lässt sich auch nicht einfach in einer Schublade wegschließen, denke ich. Ganz konkret: Bücher greifen in mein Leben ein und verändern meinen Blick auf dies und das, ich empfinde das schon als ziemlich existenziellen Vorgang. Zensoren können ein Lied davon singen.

      Aber die Romantik aus dem Lesesaal ist eine andere Art Experiment. Kurzfassung: wird’s dem Esel zu wohl, geht er auf’s Eis. Hochbürgerlich: man kann sich gar nicht vorstellen, wie kalt das Wasser ist.

      Äh, ja. Ja, naja.

      Gruß, d.

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