Tütititi

 

Über die Jahrhunderte bevölkerten unzählige Vöglein die Lyrik, sie zwitscherten, tirilierten, naschten, plapperten, lieferten mit ihrem Gesang die Inspiration zu Gedichten. Sollten fleißige Statistiker durchforsten, welche Begriffe in poetischen Texten am häufigsten vorkommen, wette ich einen Meisenknödel darauf, dass neben Rosen, Mädchen, Maid, Luft, Wind auch Vögel ganz weit vorne dabei sind.

 

Seht den Vogel! er fliegt von einem Baume zum andern,

Nascht mit geschäftigem Pick unter den Früchten umher.

Frag‘ ihn, er plappert auch wohl und wird dir offen versichern,

Daß er der hehren Natur herrliche Tiefen erpickt.

(Goethe)

 

Vöglein in den sonn’gen Tagen!

Vöglein in den sonn’gen Tagen!

Lüfte blau, die mich verführen!

Könnt‘ ich bunte Flügel rühren,

Über Berg und Wald sie schlagen!

Ach! es spricht des Frühlings Schöne

Und die Vögel alle singen:

Sind die Farben denn nicht Töne,

Und die Töne bunte Schwingen?

Vöglein, ja, ich lass‘ das Zagen!

Winde sanft die Segel rühren,

Und ich lasse mich entführen,

Ach! wohin? mag ich nicht fragen.

(Joseph von Eichendorff)

 

Aber von vorne. Diander hat Besuch. Nein, noch weiter von vorne. Dieser Sommer war ein verregneter, wochenlang konnte ich die heimische Dachterrasse nicht betreten, brauchte aber – positiv gedacht und formuliert – auch keine Blumen gießen. Nun aber hält der Sommer sein Stelldichein, die Sonne lockt zum Werkeln im Freien. Es müsste umgetopft werden, Unkraut will gezupft sein.

Die ersten Male wunderte ich mich über einen kleinen Vogel, der – während ich werkelte – ungewöhnlich nah und hartnäckig direkt neben mir auf dem Geländer saß, seltsame schnalzende Geräusche von sich gebend. Gibt es etwa so etwas wie Vogeltollwut?Aufm Geländer

Nein, ein schweifender Blick erklärte die Aufregung des Piepmatzes. Die Herrschaften haben direkt neben der Terrassentür in der Nische über einer Lampe ein Kinderzimmer gebastelt. Und so zog ich mich langsam in eine andere Ecke der Terrasse zurück und beobachtete das Treiben. Es handelte sich nicht nur um einen Vogel, sondern zwei, äußerlich kaum voneinander zu unterscheiden. Eine kurze Recherche ergab, dass es sich um Herrn und Frau Hausrotschwanz handeln muss. Der Gatte scheint noch blutjung zu sein, den einschlägigen Bestimmungsbüchern zufolge sind nur die jungen Männchen hellgrau, je älter, desto dunkelgrauer, während Madame graubraun bleiben.

Und je länger ich ruhig saß, desto wagemutiger wurden die zwei. Sobald ich gespielt gelangweilt den Kopf wegdrehte, huschten sie nach kurzem Zögern zum Nest. Dort erhob sich sofort ein lautes Geschrei, „Tschiep, Tschiep, Tschiep!“ (freie Übersetzung: „Mama, Papa, Hunger!“).

In einer ruhigen Minute, die stolzen Eltern gerade auf Futterjagd abwesend, gelang folgende Kinderzimmerbestandsaufnahme: 6 (in Worten: sechs) hungrige Mäuler, mit schwarzen, flaumigen Schippeln auf dem Kopf.

*klick* Schnabel auf…

*klick* Schnabel zu, flaumigen Kopfputz in die Höhe

 

Unermüdlich und pausenlos fliegen die Eltern hin und her, um diese Mäuler zu stopfen, „dependant brood“:

High from the earth I heard a bird;

He trod upon the trees

As he esteemed them trifles,

And then he spied a breeze,

And situated softly

Upon a pile of wind

Which in a perturbation

Nature had left behind.

A joyous-going fellow

I gathered from his talk,

Which both of benediction

And badinage partook,

Without apparent burden,

I learned, in leafy wood

He was the faithful father

Of a dependent brood;

And this untoward transport

His remedy for care,—

A contrast to our respites.

How different we are!

 (Emily Dickinson)

Und weil Kinder immer und überall schön sind und Vorrang haben (Ausnahmen bestätigen die Regel: UEFA), wird die Terrasse nun über einen Notausgang betreten, um nicht schlafende Hunde Vogelkinder zu wecken. Schön langsam entwickelt sich auch zwischen den Erwachsenen ein gewisses Vertrauensverhältnis. Musste Dianders Familie zu Beginn den Kopf wenden, um Desinteresse zu heucheln, akzeptieren die Vogeleltern mittlerweile auch unsere Anwesenheit und Beobachtung als „Vermieter“. Und äußern statt der Warnrufe auch mal ein heiteres „tütititi“. Ein gewisser Mindestabstand möchte aber bitte noch sein, zwei bis drei Meter werden akzeptiert. Heute wurde das erste Mal direkter Augenkontakt aufgenommen.

*klick* Aug in Aug

Und heute Abend kriegen die lieben Kleinen ein Gute-Nacht-Gedicht vorgelesen:

Das Huhn

In der Bahnhofshalle, nicht für es gebaut,

geht ein Huhn

hin und her…

Wo, wo ist der Herr Stationsvorsteh’r?

Wird dem Huhn

man nichts tun?

Hoffen wir es! Sagen wir es laut:

daß ihm unsre Sympathie gehört,

selbst an dieser Stätte, wo es – „stört“!

(Christian Morgenstern)

 

Diander, awwww-seufzend

16 Gedanken zu „Tütititi

  1. Diander Autor

    Das Gute-Nacht-Gedicht scheint gewirkt zu haben, morgens ist alles noch am pennen. Nur ein Haufen flauschiger Knäulchen. Der frühe Vogel…

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  2. justrecently

    Wir haben „nur“ Schwalben auf einem fernen, aber auf Umwegen durchaus zugänglichen Balken, unter dem zwei Kater schutzgeldheischend umherpatrouillieren.

    Zweimal täglich gut abgefüttert und einmal mit dem Besen runtergeklopft (die zwei Kater, natürlich) lassen sie sich aber davon überzeugen, die Brut in Ruhe zu lassen.

    Mittlerweile fliegt sie eh, und sollte sich selber helfen können.

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    1. Diander Autor

      Wir haben „nur“ Schwalben…

      Schwalben, toll! Klingt viel poetischer als „Hausrotschwanz“ …;)… Ich dachte eigentlich zuerst, bei unserer Brut könnte es sich um Nachtigallen handeln, denen sehen sie sehr ähnlich. Der Unterschied liegt aber in der Farbe der Beinkleidern, Nachtigallen haben helle Beinchen, die unsrigen hier tragen dunkle Strümpfe. Nachtigallen wären natürlich in Sachen Dichtung und Poesie der absolute Knaller gewesen, aber ich bin auch so entzückt.

      …zwei Kater schutzgeldheischend umherpatrouillieren…

      Dergleichen ist hier nicht zu erwarten, die Dachterrasse liegt in ca. 6-7 m Höhe, und der Baum daneben hat in diese Richtung nur wacklige Ausläufer, bis Katzen da oben sind (wehe!), ist die Kinderschar hoffentlich auch flügge.

      Grüßle, Diander

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      1. anchesa69

        Habt ihr ein Glück, ich hör die Vogelschar nur ständig vor dem Fenster, aber zu sehen ist selten ein Flügenchen…

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    1. Diander Autor

      Das freut mich sehr, danke! Deswegen noch aktuelle Schnappschüsse, die Brut entwickelt sich schon zu kleinen Halbstarken:

      Und auch Vati macht sich, wird dunkelgefiederter, das müssen die Hormone sein ..:)..

      Grüßle, herzlich willkommen und danke für den Besuch, Diander

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  3. Diander Autor

    Oh, Update aus der Kinderstube, eben vorher Mordsdrama: die Herrschaften machen schon die ersten Ausflüge, einer hat sich in die Gartenwerkzeugablage verirrt und kam nicht mehr zurück ins Nest, die Zwischenabstände waren zu groß für die Stummelflügelchen.

    Nach einigem Überlegen wurden zwischen der Lampe und der Ablage ein paar Bambusstäbe zum Zwischenhopsen eingezogen (unter lautstarker Begleitung der leiblichen Eltern, *schnalz schnalz schnalz*). Nun hat er/sie es zurück geschafft, ich hoffe, diese Einmischung wird mir nicht lange übel genommen.

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    1. Diander Autor

      Mei, ich hab gehofft, dass es hilft. Ein anderes Rankgitter habe ich auch noch druntergestellt, mehr Elternsolidarität ging nicht, ohne dass die Vogeleltern ein Herzkaschperl kriegen. Und heute sind alle Kinners wagemutig unterwegs gewesen, zuerst am Dachterrassenboden, und dann sind sie ausgeschwirrt. Die armen Eltern sind aus dem Warn-Schnalzen gar nicht mehr rausgekommen, den ganzen langen Tag, bis vorher um halb zehn (ob alle heil zurück sind, konnte ich nicht mehr erkennen). Das müssen sie jetzt wohl ungefähr -> 10 Tage mitmachen, dann ist das Gröbste geschafft.

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    1. Diander Autor

      Gestern zumindest haben die hiesigen Batschn auch noch ihr Futter geliefert bekommen. Heute haben sie sich schon in die riesige Buche nebenan verzupft, da sind sie nur noch zu hören, nicht mehr zu sehen, zu finden. Anbei Suchbild fern

      Und Suchbild nah

      Der Baum bietet reiche Beute, Insekten aller couleur. Man kann aber aus dem Gefiepe erkennen, dass sie noch gefüttert werden (ich verstehe mittlerweile einige Brocken rotschwänzisch). Apropos rotschwänzisch: Auch wenn sie nebenan im Baum hocken, wird mensch von den Alten bei Betreten der Dachterrasse angemault.

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  4. Diander Autor

    Umständehalber (Auszug der bisherigen Mieter) vollmöbliertes Nest, incl. 2 Landebahnen (Bambus) in ruhiger Lage zu vermieten. Keine Kaution, Mietpreis: fröhliches Gezwitscher.

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  5. anchesa69

    Also hast zwischenzeitlich die Terrasse für Dich ? Schön, dann bin ich mal auf die nächsten Untermieter gespannt…

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    1. Diander Autor

      Jow, die Terrasse ist wieder meins, und was habe ich davon? Gestern habe ich brutbedingt aufgeschobene Pflanzarbeiten erledigt und einen Sonnenbrand als Dankeschön, möööh. Ich lasse die möblierte Einliegerwohnung mal bestehen, vielleicht wird sie noch gebraucht. Rundherum tschilpen die Spatzen, aber die nisten wohl derzeit in der Nachbarschaft.
      LG, Di

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