Neapel sehen und sterben

In einer durchaus imponierenden Anverwandlung literarisch-kultureller Spitzenleistungen ins oftmals unterschätzte Genre der Popmusik grölte vor Jahren die zwischen gemein und gefährlich oszillierende Fem-Rockikone Britney Spears den ebenso tanzbaren wie griffigen Slogan „I wanna scream & shout & let it all out!!!“ durch die Discolautsprecher dieser Welt. Unterging im – berechtigten – Hype um die Geilheit ihres 4 ½-Minuten-Ballermanns jene Blaupause aus der italienischen Literatur, bei der sich ihr Produzent will.i.am in puncto Geisteshaltung schamlos und unter Missachtung aller einschlägigen GEMA-Auflagen bedient hatte: „Die Haut“, von Curzio Malaparte.

Der selbsternannte „Erzitaliener“ Malaparte (eigentlich: Kurt Erich Suckert mit väterlichen Wurzeln im schönen Sachsen) war es nämlich bereits in den 1940er Jahren gewesen, der die Kunst des Sich-Auskotzens zu neuen, unerreichten Höhen getrieben und damit in der Welt der Leichtpikierten und Schnellerregten (vulgo: dem Bildungsbürgertum) großen Gruselerfolg erzielt hatte. Er kreischte und schrie und ließ alles raus, war dabei allerdings – ganz der Popstar – stets penibel darauf bedacht, selbst bella figura zu machen. Abgefuckt, aber mit Stil, sozusagen; in der von ihm angezettelten Schlammschlacht wurde nur umso deutlicher, wie tadellos gebunden seine Krawatte eigentlich saß.    

Seine literarischen Höllenritte veranstaltete Malaparte zu einer Zeit, da Europa ohnehin mehr als nur einen verstohlenen Blick in den Abgrund warf und die faschistische Mord- und Zerstörungswut den Zeitgenossen kaum die Luft zum Atmen ließ. Einen Paukenschlag landete er 1944 mit dem kaum als Roman zu bezeichnenden, treffend auch im Original „Kaputt“ betitelten Erlebnisbericht, der in stark verzerrter (aber deshalb mitunter umso erhellender) Manier den Vernichtungskrieg der braunen Horden im Osten des Kontinents bloßlegte, den er als eingebetteter Kriegsberichterstatter für den Corriere della Sera verfolgt hatte. Malaparte offenbart sich hier als alternatives Faktenschwein avant la lettre, indem er den Horror des Krieges in eine Horrorshow verwandelt und die tatsächlichen Frontgeschehnisse in lose aneinandergereihten Episoden so grotesk übersteigert, dass hinterher niemand mehr sagen kann, wo das reale Schlachten aufhört und wo die dunkle Fantasmagorie anfängt. Speiübel ist einem so oder so.

Rund fünf Jahre später schlägt der Autor dann schließlich noch einmal in dieselbe Kerbe. Nach der Landung der Alliierten in Sizilien war Malaparte zum italienischen Verbindungsoffizier ernannt worden, der den Vormarsch nach Norden unterstützen sollte. „Die Haut“ ist das Destillat der in diesen letzten Kriegsjahren gesammelten Eindrücke, wobei ein Großteil des Geschilderten im soeben von den Amerikanern eingenommenen Neapel stattfindet. Hier, im Schatten des Vesuvs, ist das strapazierte Bonmot vom Tanz auf dem Vulkan einmal so richtig angebracht: Die Jahre des Faschismus und die Gräuel des Krieges haben den zivilisatorischen Anstrich, in dem sich das Abendland gefiel, abgekratzt und jetzt, im Moment der Befreiung, malmt sich eine eitrige Welle an Widerwärtigkeit, Opportunismus und Unzucht ihren Weg durch die schattigen Gassen der Stadt.

Frauen verkaufen sich selbst und ihre Kinder an die Soldaten, ein Vater lässt die GIs gegen Bares das Jungfernhäutchen seiner Tochter befummeln, statt erlesener Fischgerichte gibt es gekochtes Kind, alle Schwulen des Kontinents rotten sich in der Stadt zusammen und halten – sehr zum Abscheu des Erzählers – okkulte Orgien ab, zwischendrin werden alte Erinnerungen vom Krieg im Osten hervorgekramt, wo Menschen von Panzern überrollt und ukrainische Juden an Kreuze genagelt werden. Als dann tatsächlich der Teufelsvesuv zum bislang letzten Mal ausbricht, geschieht das beinahe am Rande, die eigentliche Katastrophe hat in den Herzen der Menschen schon lange zuvor stattgefunden. All dies erzählt Malaparte oder doch wenigstens die Romanfigur gleichen Namens mit einem maliziösen Lächeln auf den Lippen. Hier suhlt sich einer in defätistischen Räsonnements über die Verderbtheit des alten Kontinents, vor der die unverbraucht naive Christlichkeit der amerikanischen Truppen umso mehr absticht.

Die Haut“ ist eine tour de force, ein sensationalistisches, großes Ekel von einem Buch. Einen wirklichen Handlungsbogen kennt der Roman nicht und der Krieg muss hier erst noch zu Ende ausgefochten werden (auf den letzten Seiten baumelt dann tatsächlich der zu Brei geschlagene Leichnam Mussolinis vom Dach einer Mailänder Tankstelle). Aber im Grunde geht es Malaparte ohnehin um das jetzt schon sich offenbarende wasteland, das die Jahre der Verrohung hervorgebracht haben und das auch die Gemüter der Menschen bis ins Nihilistische deformiert. Hauptsache, er selbst kann sich in seine Villa auf Capri zurückziehen, wohltemperierten Champagner trinken und Gedanken über die Schlechtigkeit des Universums anstellen. Nur, um darüber dann in makellos lyrischer Prosa zu berichten.

Den Weinbeeren bleiben die Alkopops dieses Mal im Halse stecken. Da pinkelt doch tatsächlich einer ungeniert gegen das Traumbild des O sole mio-Italiens und kommt damit auch noch durch. Das kann doch nicht…der wird doch nicht etwa…da müsste man doch…! Zeit, der Gefahr in die Augen zu blicken und sich den schwierigen Fragen mit geöffnetem Visier zu stellen.

 

Diander: O sole mio…Interessanter Gedanke, wenn man sich zu einem Buch ein dazu passendes Lied suchen wollte: welches und vor allem von wem wäre ein zur „Haut“ gehöriges Stück Musike?

doimlinque: Du meinst jenseits von Britney Spears?!? Tja. Ich würde da an so eine tragische Opernarie denken. Irgendwas aus „Lucia di Lammermoor“, oder so. Glänzend und schrecklich zugleich und auf jeden Fall abgedreht. Danach braucht man dann erst mal einen Grappa.

Diander: Grappa ist in jedem Fall angebracht. Ich hatte musikalisch auch noch irgendwie David Bowies Abschieds-CD im Sinne. Düster, traurig. Irgendwie so.

doimlinque: Death Metal, halt. Ja. Ich habe tatsächlich auch die ganze Zeit überlegt, wie man den Text am sinnvollsten beschreiben oder mit was man ihn am ehesten vergleichen könnte. Hemingway auf einem schlechten Drogentrip war mein einer Gedanke, Goya mit Feder und Papier der andere. Es ist schon ein ziemlich extremes Buch.

Diander: Ich hatte auch ständig das Gefühl, in andere Kunstgenres rüberwandern zu müssen, um irgendwie Vergleichbares zu finden, daher der Gedanke mit Musik. Malerei ist auch passend. Hieronymus Bosch? Guernica? Irgendwie so kann man sich dem Buch nähern. Wenigstens von der Stimmung her. Obwohl ich zumindest zu Beginn fand, dass es das noch nicht mal annähernd trifft. Je länger ich aber gelesen habe, desto mehr habe ich den erwähnten Ekel überwunden und auch die sprachliche Schönheit würdigen können. Die Bildgewalt, weniger die Gewalt.

doimlinque: Also, ich bin hin- und hergerissen. Einerseits finde ich schon auch, dass er sehr elegant schreibt. Es wirkt beinahe mühelos, wie er einem die fiesesten Dinge auftischt. Und ganz prinzipiell mag ich auch das Stilmittel der offensichtlichen Entfremdung, des Verzerrens und des gaaaanz dick Auftragens. Denn, Hand aufs Herz, alle anderen Kriegsberichte sind doch am Ende auch Fabeln, die sich halt nur mehr Mühe geben, wahrhaftig daherzukommen. Und angesichts der so unvorstellbaren Grausamkeiten, die der Krieg gezeitigt hat, finde ich seine Herangehensweise ganz spannend. Aber – großes Aber – : Mir geht der Kerl selbst so unglaublich auf den Geist! Dieses pseudoschockierte, während er doch selbst die Horrorschraube immer fester anzieht. Diese blöden Einlassungen über Moral und verlorene Werte, wo er sich doch selbst in seinem Ekel so suhlt und jedes kleinste Detail ganz hochgehängt haben will. Mehr als einmal habe ich das Buch gegen die Wand schleudern wollen, weil Malaparte mich so aggro gemacht hat.

Diander: Jawollja. Dabei geht er unheimlich widersprüchlich vor, einerseits lässt er den überaus gebildeten Kunstexperten raus, der sämtliche Details über alle Maler, Literaten, Porzellandekore, kennt, dazu griechische, römische, europäische Kultur im Allgemeinen wie Speziellen, will mit allen Großen mindestens einmal diniert haben, wenn nicht gar in ihrem Hause gelebt haben. Und andererseits derartig voller Hass und Vorurteilen – man nehme nur den Part über die Figliata, Schwulenhetze vom Allerwiderlichsten. Und noch ein Widerspruch: Mit der extremen Ich-Erzählweise schwankt er zwischen Egozentrik und Einnahme einer pseudo-empathischen Annäherung. Wobei ich ihm die Empathie weniger abnehme – siehe „pseudo“ – vielmehr finde ich die Selbstdarstellung höchst selbstreferentiell. So ein Spagat zwischen Malaparte als moralisch Integrem und dem Ungeist der Welt außen rum.

Kurt Erich Suckert aka Curzio Malaparte

doimlinque: Ich hatte bei all seinen Ausführungen über Ethik und Moral und über die armen, leidgeplagten Napolitaner auch die ganze Zeit das Gefühl, das er alles und jeden im Grunde seines Herzens verachtet. Alles und jeden, mit sich selbst als strahlender Ausnahme. Und seine Einlassungen über die „Päderasten“, ja, die sind arg daneben. Vor allem, weil sie eben in einer Reihe stehen mit den abscheulichsten Gruselgeschichten. Als ob die freakigen Schwuchteln nur eine weitere Horrorepisode wären (beinahe hätte ich gesagt: Entartung, das trifft seine Haltung hier vermutlich noch am ehesten). Gleichzeitig ist er im persönlichen Umgang lieb und freundlich, es ist zum aus-der-Haut-Fahren.

Diander: Ja, einfach der good guy, während alle andren aus dem Ruder laufen. Selbst der Vesuv. Neben den Schwulen sind es ja auch noch die Frauen, die er äußerst sexistisch beschreibt, über das Alter wird hergezogen,..

doimlinque: Wunder Punkt?

Diander: Du hast mich unterbrochen, jetzt wäre das Aussehen gekommen, pah! Nein, ernsthaft, wenn Malaparte (Kurt) über Männer schreibt, dann überwiegend liebevoll, innere Werte, Haltung und Gedöns. Bei Frauen werden die Kriterien über die Optik gezogen, welke, blasse Haut, Dekolleté ja oder nein. Welche Hauttönung hat der General, hmmm? Keine Ahnung, unwichtig, Hauptsache ein ehrenvoller Kerl. Das ist sexistische gequirlte Kacke.

doimlinque: Klassischer Hemingway halt. Ja, es ist nicht anders, kein Einspruch. Und trotzdem, ähem, um jetzt hier noch einmal die Kurve zu kriegen (außerdem reden wir ja von der Romanfigur Malaparte, deren Autor Malaparte womöglich nicht an allen Punkten deckungsgleich daherkam) – der Vesuv, zum Beispiel. Das illustriert nämlich andererseits die famose Seite des Buches, denn wenn ich nicht wüsste, dass der Vulkan tatsächlich 1944 ausgebrochen ist, würde ich die Schilderung nach allem Vorhergehenden glatt für eine weitere Räuberpistole Malapartes gehalten haben. Die Wirklichkeit, das wird hier ganz deutlich und darauf schießt sich der Autor geradezu ein, kommt in diesen Monaten so krass und unbegreiflich daher, dass man sie sich eigentlich nur überdreht aneignen kann. Um gerade durch die Übertreibung das Wahnsinnige der Realität herauszustellen. Jedenfalls ist das seine Methode, und es ist nicht die Schlechteste.

Diander: Damit sind wir an dem Punkt, den ich vorher ein wenig lobend erwähnt hatte, die Sprachgewalt. Bei allem Abseitigen im Buch entwickeln für meinen Geschmack zum Beispiel die Landschaftsbeschreibungen eine ganz eigene Wucht, der schwarze Wind, die Lichter des Meeres, das Lodern des Himmels sind von eigentümlicher Schönheit und sprichwörtlicher Bildsprache, expressionistisch wie ein Gemälde. Das ist der Punkt, der mir Teile lesenswert machte. Obwohl die Kniffe, die dafür nötig waren, beispielsweise der Ausflug nach Russland oder Hamburg– mir ein wenig überflüssig und aus dem Zusammenhang gerissen vorkamen. Pscht, jetzt schimpfe ich schon wieder.

doimlinque: Fürwahr. Wobei sich Malaparte vermutlich die Hände gerieben hat über die Wellen, die sein Buch – auch und gerade im Schlechten – gemacht hat. Ist doch eine tolle Auszeichnung, wenn der Vatikan das Buch auf den Index der verbotenen Bücher setzt oder wenn sich eben die Leser auf jeder zweiten Seite grün und blau ärgern über seine polarisierende Art.

Diander: Nochmal zurück zu der Kunstfigur Malaparte und dem Autor gleichen Namens: selten hatte ich so den Eindruck, dass da kaum ein Unterschied existiert. Obwohl ein Trick, den er anwendet, kein schlechter ist, vielleicht erinnerst Du Dich an die Stelle: Als er beim Essen, das von einer Explosion und einem toten Marokkaner unterbrochen wurde, die Knochen auf seinem Teller so anordnet, als hätte er eben die Hand des Toten verspeist und sich nichts anmerken lässt. Das fand ich schon reichlich komisch im Sinne von Ironie, ein dezenter Hinweis darauf, dass nicht alles glaubhaft wäre, was er so von sich gibt und sich selbst vom Autoren-ich beziehungsweise umgekehrt distanziert.

„Malaparte ist wie der Korken einer Weinflasche“, soll Edda Mussolini über den skandalträchtigen Autoren gesagt haben: „Er schwimmt immer oben.“ Die Tochter des Duce musste es wissen, war ihr Mann Galeazzo Ciano doch einer von Malapartes besten Freunden und als hohes Tier in der faschistischen Partei der Garant dafür, dass die arg wechselvollen Beziehungen zwischen Diktator und Schriftsteller nie ins allzu Abgründige kippten. Als überzeugter Faschist der ersten Stunde hatte Malaparte 1922 an Mussolinis Marcia su Roma teilgenommen, bei dem dieser die Macht im Staat an sich riss, und war auch in den Folgejahren den neuen Herrn durchaus gewogen. Als notorisch eigensinniger, meinungsstarker Vielschreiber scheute Malaparte sich andererseits auch nicht, ab den 1930er Jahren in diversen Schriften gegen Mussolini Stellung zu nehmen – was ihm durchaus zur Ehre gereicht. Wiederholt landet er im Gefängnis, schließlich wird er auf die liparischen Inseln vor der nördlichen Küste Siziliens verbannt. Irgendwie schafft er es, wieder halbwegs rehabilitiert zu werden und baut mit dem weiterhin sprudelnden Geld aus seinen Buchverkäufen eine Villa auf Capri, von deren begehbarem Dach aus man gerade so eben nicht mehr Neapel, wohl aber den Vesuv in der Ferne erblicken kann. Dass er sein Refugium mitten in einem Naturschutzgebiet bauen durfte, zeugt von seinem weiterhin bestehenden guten Draht zu den obersten Entscheidungsträgern in Rom. Trotzdem noch immer nicht wieder ganz dicke mit dem Duce, bekommt er Hausarrest aufgebrummt, ein gar schröckliches Schicksal an einem der schönsten Orte der Welt. Es folgt die Aussendung an die Ostfront als Kriegsreporter, wo vermutlich auch nicht die erstbesten Regimekritiker genommen wurden. Mit Ankunft der Alliierten ist Malaparte schließlich ein Geläuterter, der in Demut den moralischen Sündenfall des gesamten Kontinents zu beschreiben weiß (hinter dem sich der einzelne so wunderbar verstecken kann). In der Nachkriegszeit wird er zum Vorzeigesalonkommunist und vermacht bei seinem frühen Tod 1957 sein gesamtes Vermögen inklusive Caprivilla der kommunistischen Partei Chinas. Es heißt, nach Erscheinen von „Die Haut“ sei eine Delegation der Bürger Neapels vor den Toren seiner Villa aufgetaucht, um sich beim Autor zu beschweren über die ehrenrührige Beschreibung der Stadt und ihrer Bewohner. Malaparte, so wenigstens schreibt er es selbst, habe die tumben Toren mit ein paar wohlgewählten Invektiven dahin geschickt, wo der Pfeffer wächst. Freunden des Autorenkinos ist die Villa Malaparte übrigens bekannt als Schauplatz des alten Jean-Luc Godard-Streifens Le Mépris (Die Verachtung).

doimlinque: Er spielt mit den Lesern, und deswegen bin ich auch vorsichtig, was die besagte Gleichsetzung angeht. Gleichzeitig finde ich das, was sich über den historischen Malaparte nachlesen lässt, jetzt auch nicht unbedingt unproblematisch. So kann man sich gleich doppelt echauffieren: Über den Erzähler-Malaparte und über den Autor-Malaparte. Das ist immerhin auch eine Leistung! Ich bin mir übrigens nicht ganz sicher, wie groß die Halbwertzeit seiner shock-and-awe-Methode ist. Seine Bücher waren unmittelbar nach ihrem Erscheinen riesige Skandalerfolge, aber wenn ich das richtig sehe, hast Du heuer nur noch mit Mühe ein deutsches Exemplar auftreiben können, gell…?

Diander: Genauso war das, es gibt im deutschen Buchhandel derzeit nur eine verfügbare Ausgabe von Zsolnay, gebunden. Und selbst die musste irgendjemand im Verlag anscheinend aus den Tiefen des Archivs rauskruschteln, so dass die Lieferung ein Zeit gedauert hat. Keine Taschenbuchausgabe, keine Neuübersetzung, null, nada, niente. Die Ausgabe von Zsolnay ist noch in alter Rechtschreibung („daß“…), hat ein paar Lenze auf dem Buckel. Vielleicht liegt es daran, dass uns der Krieg so fern scheint, zumindest einige das so sehen wollen. Und von den Grausamkeiten nichts wissen wollen, Kopf in den Sand.

doimlinque: Hmmm, die alte Ernst Jünger-Arschnase wird doch auch immer wieder aufgelegt. Ich weiß nicht, vielleicht hat es sich dann auch einfach irgendwann mal genug aufgeregt. Wobei ich jetzt schon froh bin, das Buch mal gelesen zu haben und wie gesagt auch manches gut gefunden habe. Meine italienische Taschenbuchausgabe ist von 2010, allerdings folgte die wohl auch auf eine längere Zeit der Stille, wenn ich das Nachwort richtig verstehe.

Die Weinbeeren nehmen eine alkoholische Auszeit – cin cin – und blättern noch einmal in ihren jeweiligen Kladden…

Diander: Hach, nach der Weinschorle fällt mir doch noch was ein. Ich bemerke ja selten sprachliche Kniffe, weil ich meistens eher am Inhalt hängen bleibe. Aber das ist selbst bei mir hängen geblieben, der gute Malaparte arbeitet viel mit Wiederholungen oder Repetitiones, wie der/die alte Lateiner/in sacht:

Er folgte mir wie ein Hund. Ich behaupte, daß er mir folgte wie ein Hund.

Das ist jetzt nur eines von vielen Beispielen, die sich durch das Buch ziehen. Fand ich jedenfalls auffällig, dass mir sowas auffällt (Repetitio!!).

doimlinque: Hört, hört! (Repetitio!) Dann tue ich mal so, als wäre mir das auch aufgefallen, hüstel: Jaaa, der Malaparte war ein mit allen rhetorischen Tricks gewaschener Sprachmagier. Italiener halt. In eine ähnliche Richtung hatte ich mir aber tatsächlich auch Gedanken gemacht, nämlich wie sehr er mit seinen beiden Weltkriegsbüchern („Kaputt“ und „Die Haut“) heraussticht aus der Literaturmasse seinerzeit. Und noch ein wenig weitergedacht: Wie bekommt man die Erfahrung des Weltkrieges zwischen zwei Buchdeckel gebannt. Adorno hat ja nicht für nix sein zu Tode zitiertes Diktum angebracht, dass – im Wortsinne – nach Auschwitz keine Poesie mehr möglich sei. (Inwiefern dass nun zutrifft oder Unsinn ist oder wie auch immer einmal an den Rand gestellt.) Jedenfalls packt Malaparte das doch ganz anders an als andere, wenn ich das recht sehe. Wo die meisten ganz karg und hart und schwarz-weiß schreiben, packt er den Dampfhammer raus und kladderadatscht der Leserin mit Wucht einen vor den Latz. Über besser oder schlechter braucht man sich nicht zu streiten, denke ich, aber Eindruck macht er damit schon.

Diander: Mir fällt da wieder der vorher erwähnte Hemingway zum Vergleich ein, der ja schon auch ähnliche Themen hatte. Aber viel nüchterner und – jetzt komme ich drauf, was ich eigentlich für einen Bildvergleich hätte zitieren können: Das Ganze ist wie gesagt reichlich expressionistisch angehaucht, Grosz und Dix lassen irgendwie grüßen.

doimlinque: Dix, ja. Mit grellen Farben und verzerrten Gliedmaßen, das finde ich einen schlüssigen Vergleich.

Diander: Der Punkt ist nur nach wie vor, dass ich dem guten Curzio das Ganze nicht so recht abnehme, mir kommt selbst das Expressionistische in seiner Schreibe etwas aufgesetzt vor, seht her, was ich kann, wie uptodate ich bin und was und welche Kniffe ich alles kenne.

doimlinque: Vollkommen d’accord. Ich glaube, „Die Haut“ hätte ein megalaktisch fettes Buch werden können, wenn Malaparte sich von der eigenen Nabelschau hätte losreißen können.

Diander: Ja, das allerfetteste Antikriegsbuch aller Zeiten. Aber: Chance vertan.

doimlinque: Moooh…

 

Seufzend wenden sich die beiden wieder dem vino zu und lauschen zur Stimmungsaufhellung einem etwas später angesiedelten neapolitanischen Liedchen. Anschließend schmeißen sie sich samt alcool aufs Sofa und einen kurzen Blick in die Verfilmung von Liliana Cavani anno 1981, großartig besetzt mit Marcello Mastroianni, Claudia Cardinale und Burt Lancaster.

Der Film ist zwar auch komplett im Netz verfügbar, allerdings in einer visuell arg gerupften Version, die sich nur wohldosiert angucken lässt…

Cin cin, Diander und doimlinque

 

8 Gedanken zu „Neapel sehen und sterben

  1. doimlinque

    Der Film ist gar nicht mal so übel, vor allem, weil er sich die nötige Freiheit nimmt, hier und da andere Wege einzuschlagen und nicht sklavisch an der Buchvorlage klebt. Natürlich musste aus der angestaubten amerikanischen Senatorengattin eine fesche, blonde Kampffliegerin werden (die bei aller an den Tag gelegten toughness zum Schluss doch schluchzend den Kopf auf Marcello Mastroiannis Schulter lehnt). Dieser Mastroianni schafft es übrigens – natürlich -, die Malapartefigur in recht angenehmem Licht erscheinen zu lassen, indem er diese groteske Eitelkeit auf ein erträgliches Maß zurückfährt. Was für eine Schauspielerriege, by the way!

    Unverzeihlich allerdings, dass Claudia Cardinale zusammengerechnet nur knapp 5 Minuten auf der Leinwand zu sehen ist. Wenn man schon mal die tollste, wunderbarste und überhauptste Aktrice Europens in einer etwas obskuren, im Buch nicht zu findenden Rolle vor die Kamera zerrt, dann doch bitte für mehr als nur anderthalb Dialogfetzen. Und der Vesuvausbruch wirkt etwas mau, war vermutlich schwer im Studio nachzustellen.

    Gruß, d.

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    1. Diander Autor

      Jaaaa, die Cardinale natürlich, hebt natürlich die Riege ungemein. Obwohl die Situation ja zumindest so ähnlich schon im Buch vorkommt, nur hießen die handelnden Akteurinnen dort Consuelo und Maria Teresa, wenn ich mich recht entsinne. Die Szene, in der das tote Mädchen von ihnen gewaschen und gekleidet wird, fand ich im Buch schon ergreifend, war dort eine der wenigen, in der jemand nicht berechnende und berechnete Empathie zeigt, damit kann die Szene und die Claudia ein wenig punkten. Und die Liste der Figuren, die im Vergleich Buch/Film auftauchen bzw. nicht auftauchen, ist ja nicht unerheblich. Was mich gar nicht so stört, wenn die Verfilmung gelungen ist. Was sie für mich – wie für Dich – ist. Abklatsch kann jede/r.

      Ich finde übrigens außerdem, dass diese Kampffliegerin eine frappierende Ähnlichkeit mit Lauren Bacall aufweist, wa? Und neben dem Marcello auch Burt Lancaster nicht zu vergessen- uuuh, den fand ich schon auch gut besetzt und sowieso nie verkehrt.

      Natürlich tue ich mich ein wenig härter mit dem Film, weil mein Italienisch im Grunde auf schulüblichem Latein plus Zusatzübungen fußt. Und halt diese Zurechtschnippelei auf Quadratformat die Optik beeinträchtigt (wahrscheins war die Cardinale noch weitere 15 Minuten im Film, aber links stehend einfach nicht zu sehen, genauso wie der Vesuv).

      Grüßle, Di

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      1. doimlinque

        An Marcellos Lippen hängend Italienisch lernen ist jetzt auch nicht das argste Schicksal. Wie jeden gescheiten Film müsste man diesen auch wenigstens einmal auf etwas größerer Leinwand und ohne Streifeninterferenzen sehen, um da zu einem gerechten Urteil zu gelangen, ja. Irgendwie hat er was, allein die Miniszene, in der die Villa Malaparte ausgestellt wird, wäre das Geld für eine Kinokarte wert. Insgesamt wird – bemerkenswert in diesem visuellen Medium – der Horror nicht ganz so aufdringlich präsentiert. Bei Licht betrachtet ist das eine ziemlich mutige Entscheidung der Regisseurin gewesen.

        Malapartes Empathie wirkt immer berechnend, das empfinde ich auch so. Ganz und gar unempathisch, gewissermaßen, sondern zugeschnitten auf Show- und Schockeffekte.

        Gruß, d.

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        1. Diander Autor

          Aaaaah, schmacht, bevor ich an Marcellos Lippen hänge, hänge ich noch an den Augen. Hilft zwar nicht beim Italienisch-Wortschatz, erklärt aber die Rolle und den Ruhm von „La dolce vita“.
          Grüßle, Di

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          1. doimlinque

            Freilich, freilich. Gleichwohl war er kreativ und intelligent genug, sich nicht auf seine Augen reduzieren zu lassen. Wenn man sich durch seine filmischen Backpages blättert, ist das schon eine ziemlich beeindruckende Reise.

            Je länger die Haut- und Kaputtlektüre übrigens hinter mir liegt, desto mehr schwirren die Texte in meinen Gedanken herum, was ganz eindeutig für Malaparte spricht. Diese barocke Wucht, in feinzieselierten Sätzen aufgetischt, hat ganz schönen Nachhall. Biestiges Buch.

            Gruß, d.

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            1. Diander Autor

              Gleichwohl war er kreativ und intelligent genug, sich nicht auf seine Augen reduzieren zu lassen.

              Selbstverfreilich. Ich erinnere mich, dass ich mir als Halbstarke, im Modus „linksintellektuell und aufmüpfig“, vom Taschengeld den Kinobesuch des gerade erschienenen La città delle donne, Fellinis Stadt der Frauen und anderes mehr gegönnt habe. Anno dunnomal konnte ich Marcellos schwermütigen, leicht lächelnden Blick noch nicht so wertschätzen, weil er damals -in den Augen eines Teenagers – einfach ein älterer Mann war. Aber je öfter man (ich) die Filme sieht und Zeit ins Land zieht, desto mehr seiner wahren Stärken nimmt man (ich) wahr. Aber halt auch die sprechenden Augen.

              Je länger die Haut- und Kaputtlektüre übrigens hinter mir liegt, desto mehr schwirren die Texte in meinen Gedanken herum, was ganz eindeutig für Malaparte spricht.
              Ja, habe ich ja weiter oben beim Schwätzchen auch erwähnt: Je länger man liest, desto mehr bleibt von der Wucht hängen. Oder wie Diander meinte: Die Bildgewalt, weniger die Gewalt.

              Grüßle, Di

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  2. Rüdiger Grothues

    Tu Vuò Fa‘ L’Americano? Roccarrollo? Wie auch immer, dieser „staei cloos tu raockaenroll“-TV-Auftritt gefällt mir – gefällt mir sehr.
    Rüdiger

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    1. Diander Autor

      Mir auch, macht richtig gute Laune. Ein Liedchen, das gut und gerne in einer kleinen Eckkneipe in München oder sonstwo des nächtens laufen könnte.
      Liebe Grüße und: Schön, dass Du mal wieder vorbei geschaut hast…

      Diander

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